Risotto Mit Otto
Display lief es mir eiskalt den Rücken herunter. »Entgangene Anrufe (7): Babbo «, stand da. Mir blieb auch nichts erspart. Porca miseria, dachte ich, in all dem Trubel hatte ich doch glatt vergessen, mamma noch mal anzurufen. Das roch nach Ärger. Nach gewaltigem Ärger. An Signor Colluti, der meine Eltern inzwischen sicher informiert hatte, mochte ich gar nicht erst denken, mir war so schon schwindlig genug.
Noch im Wohnungsflur wählte ich die Nummer meiner Eltern und wartete mit klopfendem Herzen darauf, dass jemand abnahm. Es war Laura, die mich sofort und umfassend darüber informierte, dass babbo seit gestern Abend abwechselnd bei mir und Signor Colluti anrief und kurz vor dem Herzinfarkt stand, weil er weder mich noch meinen Vermieter erreichte. Ehe sie mir weitere für mich wichtige Details verraten konnte, griff mein Vater nach dem Hörer.
»Angelina«, sagte er, und die Erleichterung darüber, dass seine bella bimba noch am Leben war, schallte so laut durchs Telefon, dass Beate sich die Ohren zuhielt. »Wo steckst du denn? Wieso …?«
Ihn nicht ausreden zu lassen schien mir die beste Taktik zu sein, um meinen Hintern zu retten, daher palaverte ich einfach los. »Alles bestens«, erklärte ich schnell, »ich war gestern nur todmüde und hab mich gleich hingelegt, weil ich im Zug die ganze Nacht kein Auge zugetan habe. Mit Signor Colluti hat alles super geklappt, mein Zimmer ist toll, mit Blick auf einen Park, und der alte Herr ist sehr nett.«
» Va bene, gib ihn mir mal kurz, damit ich mit ihm noch ein paar Details besprechen kann«, bat mich mein Vater.
»Ma noooooo, babbo!« , rief ich. »Das ist doch nicht nötig. Alles perfekt hier. Außerdem sitzt er gerade auf dem Klo«, schwindelte ich mir schnell etwas zusammen, während wir die Treppe hinunterliefen. » Sì, sì, ich sag ihm, dass er dich gleich zurückrufen soll, selbstverständlich. Also, mach’s gut und grüß mamma ganz lieb. Ich ruf heute Abend noch mal an, jetzt ist es viel zu teuer. Ciao, ciaociao, ciao .«
Ich legte gerade auf, als wir im Erdgeschoss ankamen, wo uns eine ältere Dame mit Lockenwicklern in den grauen Haaren erwartete, die alles andere als freundlich dreinblickte. Beate grüßte höflich, und ich wollte es ihr gerade nachtun, da schob sie sich in ihrem fleischfarbenen Bademantel hinter der halbgeöffneten Tür hervor.
»Was ist denn hier los? Wer veranstaltet denn diesen Lärm? Das hier ist ein Treppenhaus und keine öffentliche Telefonzelle. Die Jugend von heute hat einfach kein Benehmen mehr, kein bisschen Benehmen«, polterte sie los.
Ich starrte sie nur stumm an, als wäre sie gerade einem UFO entstiegen, während Beate versuchte, die Situation zu retten.
»Frau Griesmayer«, sagte sie mit einer Säuselstimme, die ich ihr in drei Leben nicht zugetraut hätte, »es wird nicht wieder vorkommen. Einen schönen Tag wünsch ich Ihnen, und hoffentlich geht’s mit Ihrem Rheuma bald wieder besser.«
Sofort strahlte die Dame übers ganze Gesicht. »Danke, es geht, es geht. Muss ja. Nächste Woche kann ich vielleicht schon wieder selbst einkaufen gehen, nur fürs Wochenende bräuchte ich dann noch mal ein paar Sachen.« Sie drückte Beate einen Zettel und einen Jutebeutel in die Hand, den die Studentin, ohne zu zögern, entgegennahm. »Sie sind wirklich ein nettes Kind. Könnten Sie mir vielleicht auch noch den Müll mit rausnehmen?«, fragte die Dame.
Ich traute meinen Ohren kaum, als Beate die Frage bejahte und sich von der griesgrämigen alten Schachtel allen Ernstes einen durchsichtigen Beutel mit Müll in die Hand drücken ließ, den sie brav in der Tonne im Hinterhof entsorgte. Hatte die Frau etwa keine Kinder oder sonstigen Verwandten, die sich um sie kümmerten? Wozu hat man denn Familie?, dachte ich.
Von der Tatsache, dass die jungen Leute in Deutschland von zu Hause flüchteten, sobald sie volljährig waren, hatte mir Vale ja schon nach ihrem traumatischen München-Besuch erzählt. Wir hatten es kaum fassen können, dass die Deutschen zum Studieren oft in Städte zogen, die mehrere hundert Kilometer von ihrem Heimatort entfernt lagen. Dass sie allen Ernstes ihre Freiheit höher einschätzen als den Service, den ein anständiges Hotel mamma nun mal bot und der mit so manchen Annehmlichkeiten einherging. Dass sie sich so weit weg vom warmen, schützenden Schoß der famiglia wagten. Natürlich hatte auch ich mich mit dem Auslandssemester in München hinaus in die Welt gewagt, aber das erhöhte meine
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