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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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nach, als er davonfuhr. Das Licht der Schein- 
    werfer verschwand. Sie war allein, sie und die Nacht und der Schatten einer Eule, die durch die Luft flatterte und abwechselnd Kirchtürme, Abtei und die Hügel dahinter verdeckte. Etwas Kühles erfüllte sie, es begann in ihrer Mitte, wanderte in ihren Kopf und umgab sie dann wie eine zweite Haut. Sie blieb reglos stehen, denn ohne zu verstehen, warum, wusste sie, dass ihre Mum sie berührte und ihr sagte, es sei alles gut. Kaiser konnte warten bis morgen. Jetzt musste sie sich um Thom kümmern.
    Sie ließ ein paar Minuten verstreichen und atmete langsam, bis sich die Kühle in ihr aufgelöst hatte. Die Eule flatterte zu den Bäumen hinüber und verschwand in der Nacht. Flea wandte sich zum Haus, und bemerkte, dass das Licht im Fenster der Oscars erloschen war.
    40
    18. Mai
    Es war zehn Uhr, ein sehr sonniger Morgen, und Jack Caffery dachte an Erlösung. Nach seinem Treffen mit dem Walking Man am Abend zuvor hatte er zu Hause lange wach gelegen und an Craig Evans gedacht - gekreuzigt und an ein Bügelbrett gefesselt - und an Penderecki, an den Schmerz, den er immer noch spürte, wenn er daran dachte, dass der übergewichtige alte Pole der Gerechtigkeit zweimal ein Schnippchen geschlagen hatte: einmal, als er für den Mord an Ewan straflos davonkam, und dann, als er sich selbst umbrachte. Caffery hatte ihn gefunden; er hing an der Decke, umgeben von Fliegen, Barbituraten und seiner eigenen Scheiße. Ewans Mörder hatte niemals seine Strafe bekommen wie Craig Evans. Und 
    jetzt, am Morgen, als er im warmen Sonnenlicht auf dem Parkplatz vor dem Gemeindezentrum Mangotsfield stand, erinnerte sich Caffery noch an etwas, das der Walking Man gesagt hatte: Sie sollten nicht versuchen, mich zum Glauben an die Erlösung zu bekehren.
    Diese Worte fielen ihm wieder ein, weil er den Morgen damit verbracht hatte, mit den Vertretern der verbliebenen Drogenberatungsstellen zu sprechen. Jetzt wollte er zu einem der letzten auf der Liste derer, denen Mabuza Spenden hatte zukommen lassen: zu Tommy Baines, dem Geschäftsführer der Drogenberatung »User Friendly«. Er blickte an dem Kirchengebäude empor. Fensterpfosten und zierliche Friese warfen scharfe Schatten. Wenn man die Bankkonten Mabuzas mit der Liste verglich, die der Bag Man ihnen ausgehändigt hatte, ergab sich, dass jede der achtzehn Drogenberatungen, die BM als potenzielle Anlaufstelle für Mossy aufführte, auch Geld von Mabuza erhielt - manche mehr, manche weniger, aber Kontakt hatte der Südafrikaner zu allen. Nur, aus irgendeinem Grund kribbelte Cafferys Kopfhaut bei Baines stärker als bei allen anderen.
    Er stieß die Eingangstür auf und betrat das kühle Gebäude. Seine Schritte klangen gedämpft auf dem marineblauen, strapazierfähigen Noppenteppich. »Tig« nannte Baines sich. Auch daran erinnerte Caffery sich, denn der Spitzname hatte ihn gestört, und er stellte fest, dass ihn bei dem Gedanken an »Tig« ein Gefühl überkam, das er nicht definieren konnte. Er fragte sich, ob es so etwas wie ein Rest von Wut war, weil Penderecki davongekommen war, weil Leute wie er und Tig anscheinend immer noch eine zweite Chance bekamen. Und als er um die Ecke bog und auf das Büro zuging, dachte er: Auch wenn es kleinkariert war, eins konnte er immerhin tun, nämlich »Tig« das Leben schwer machen.
    »Sie schon wieder?« Baines blickte vom Kopierer auf, als Caffery hereinkam. Zwei ältere Frauen hielten sich im Büro auf. Sie trugen unauffällige, schlammfarbene Kleidung und han- 
    tierten mit irgendwelchen Papieren herum - der totale Kontrast zu Tigs unbestimmt aggressiver Haltung und seiner »Duke Nukem«-Weste, der Combathose und den Doc Martens. »Ich habe um elf eine Sitzung, und die Ersten kommen schon früher, also, was immer Sie wollen, machen Sie's kurz.«
    Caffery lachte leise. Genau diese Reaktion hatte er von Tommy Baines erwartet. »Ich möchte mit Ihnen sprechen«, sagte er. »Irgendwo unter vier Augen.«
    Tig sah sich nach den beiden Frauen um. »Wir können in den Flur gehen.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Stoppknopf am Kopierer. »Noch ist da niemand.«
    Sie blieben vor einer Anschlagtafel voller Zettel stehen: Pilates- und Kinderkochkurse, Mietpreislisten für die Räume im Gemeindezentrum. Tig stand mit verschränkten Armen da wie ein Rausschmeißer. An einem Oberarm trat eine Ader blau und hart hervor, als hätte er kurz zuvor noch Gewichte gestemmt. Aber Caffery war größer, und das machte er

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