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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Söldner nennt. Danach schloss ich mich einer Bande an, die gegen die Osmanen und ihre Statthalter kämpfte. Ich sollte Proviant beschaffen und folgte einer Wildschweinfährte, als ich meinem ersten Vukodlak gegenüberstand. Er sah mich, ich sah ihn, dann verschwand er auch schon wieder. Dabei bemerkte ich einen goldenen, glänzenden Ohrring. In der folgenden Vollmondnacht suchte er unser Lager heim und rottete im Blutrausch alle Männer aus bis auf mich. Er machte sich nicht einmal die Mühe, die Menschen zu fressen, er zerfleischte sie bei lebendigem Leib und ließ sie liegen. Seitdem jage ich die Wandelwesen.«
    »Und warum hat er Euch das Leben gelassen?«, fragte Pierre vorsichtig nach.
    »Wir haben uns abends oft darüber amüsiert, dass die Bande einen Statthalter des Sultans zum Spaß verprügelt hatte, so dass er schwere Wunden davontrug, ehe er sich vor den Tritten und Schlägen retten konnte. Ich beteiligte mich nicht daran. Aber ich erinnerte mich später, dass er einen Ohrring trug. Einen goldenen, wie jener Vukodlak. Nicht unüblich unter den Osmanen, solche Zier.« Er schenkte sich erneut ein. »Zwei der Toten waren gute Freunde geworden. Ich wollte es der Bestie nicht ungestraft durchgehen lassen und suchte den Statthalter auf, um ihn zur Rede zu stellen. Es kam zum Streit, dabei verwandelte er sich vor meinen Augen in einen Vukodlak und griff mich an.« Malesky rieb sich den rechten Oberarm. »Es war knapp. Hätte ich vorher nicht in Erfahrung gebracht, was man gegen die Bestien einsetzt, wäre ich meinen Freunden ins Jenseits gefolgt. So habe ich ihm einen silbernen Dolch ins Herz gejagt, und seitdem war ich ein gesuchter Mann. Jeder wusste, dass ich einen Mord begangen hatte, aber niemand ahnte, was ich wirklich tötete.«
    Vater und Sohn hörten aufmerksam zu. »Wieso habt Ihr die Jagd fortgesetzt, Monsieur Malesky?«, hakte Pierre nach. »Ihr hattet den Mörder Eurer Freunde doch gerichtet.«
    Der Moldawier schwieg. »Sie sind überall. Man muss die Augen aufmachen und ihre Spuren zu lesen wissen, und dieses Wissen raubt einem den Schlaf«, raunte er abwesend. »Sie sind eine Gefahr für die Menschen, und diese Art Bestie hier bei euch ist die schlimmste von allen. Sie ist schlau, sie vermag Dinge zu tun, die kein anderes Wandelwesen kann. Ich traf sie zum ersten Mal in der Nähe von Karpineny, als sie einen Gutshof überfiel; sie floh vor mir und macht sich seitdem einen Spaß daraus, mir Spuren zu legen, denen ich folgen soll. Das waren Fallen, oder ich begegnete dabei anderen Wandelwesen, die sie auf mich hetzte wie Handlanger. Aber ich gebe nicht auf. Bis zu meinem letzten Atemzug verfolge ich sie.«
    »Hättet Ihr mir das vor zwei Jahren erzählt, hätte ich Euch ausgelacht.« Jean legte ein Scheit ins Kaminfeuer, um die Oktoberkälte aus dem Raum zu treiben. »Nun habt Ihr in mir einen Verbündeten gefunden.«
    Pierre war von der finsteren Welt der Kreaturen gefangen. »Ihr sagtet, dass sie überall seien, Monsieur Malesky, aber woher kommen sie? Hat Gott sie geschickt oder der Teufel? Was wollen sie auf der Welt?« Seine braunen Augen leuchteten voller Faszination. »Stand auf den Papieren der ehrwürdigen Äbtissin nicht, dass es auch welche gibt, die den Menschen helfen? Und bedenkt, dass der Statthalter Euch zuerst verschonte.«
    Malesky lachte leise. »Mir sind noch keine begegnet, die mich zum Wein einluden oder die älteren Herrschaften beim Einsteigen in die Kutsche halfen.« Er schaute zu Pierre. »Nein, junger Monsieur Chastel, sie sind Bestien. Woher sie kommen, ist mir gleich, wer sie uns gesandt hat, schert mich nicht. Und was sie wollen?« Er stürzte den Cognac hinunter. »Töten, Monsieur. Töten und ihre Saat verstreuen, um eines Tages aus ihren Verstecken zu kriechen und offen über uns zu herrschen.« Er stand auf und humpelte wankend in die Kammer, um sich ins Bett zu begeben. »Der zweitschönste Tag wird jener sein, an dem wir Euren Bruder von dem Fluch der Garous befreien, ohne ihn dafür erschießen zu müssen.« Malesky verschwand im Dunkel des Zimmers.
    »Welcher ist der schönste?«, rief ihm der junge Mann hinterher. Er bekam keine Antwort.
     
    Kaum war der erschöpfte Malesky verschwunden, klopfte es laut und schnell gegen die Tür. Jean runzelte die Stirn und schaute aus dem kleinen Fenster. »Äbtissin Gregoria?« Er öffnete ihr und ließ sie herein.
    »Bonnuit, messieurs.« Sie sah aufgeregt aus, ihr Kuttensaum war von Schlamm bedeckt, und sie roch nach

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