Rivalen der Liebe
des väterlichen Ultimatums erfüllte. Und schon konnte er sein lustvolles Leben führen wie bisher.
Roxbury fand nämlich, diese gesellschaftliche Ausgrenz ung passte einfach nicht zu ihm. Was ihn auch gar nicht weiter überraschte: Immerhin war er ein Salonlöwe; er blühte im überfüllten Ballsaal auf, er brauchte hitzige Gespräche, den einladenden Blick einer Frau und ihren befriedigten Körper neben sich im Bett. Er brauchte all das, um ein gutes Leben führen zu können. Aktuell fühlte er sich jedoch eher wie ein Tier in Gefangenschaft. Jedes Bedürfnis wurde gestillt bis auf den Kitzel der Jagd und die Gefahren der Wildnis.
»Oh«, sagte Jocelyn mit spürbar weniger Begeisterung als erhofft.
»Was heißt da oh ?«
»Ich bin gerade dabei, eine Affäre mit Lord Brookes zu beginnen. Das will ich nicht aufs Spiel setzen.«
Stirnrunzelnd sah Jocelyn ihn an. Wenn sie zugab, dass sie sich mit einem Mann in einem Flur hinter der Theaterbühne geliebt hatte, würde das diese gewünschte Affäre gefährden, so viel war sicher.
Ein gespanntes Schweigen senkte sich über das Schlafgemach.
»Aber du wirst doch auf mich aufpassen, oder?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
Roxbury lächelte nur. Er hätte ihr allzu gern alles versprochen. Doch zum ersten Mal in seinem Leben gab es keine Garantie, dass er sich das auf Dauer würde leisten können. Ihm wurde unwohl.
War es wirklich so weit mit ihm gekommen? Bettelte er jetzt schon alte Freundinnen um einen Gefallen an, damit sein Ruf gerettet wurde und er endlich das tun konnte, was das größte Gräuel für ihn war – heiraten? Nein, er korrigierte sich. Das Allerletzte, was er anstrebte, war ein Leben in Armut.
Nicht zum ersten Mal verfluchte Roxbury dieses Ultimatum. Ihm gefiel keine der Alternativen, und er vermutete auch, dass für ihn in Wahrheit überhaupt keine Wahlmöglichkeit mehr bestand. Nach wie vor war keine anständige Frau mehr für ihn zu sprechen. Wie sollte er unter diesen Umständen eine heiraten, wenn er nicht einmal vorgelassen wurde, damit er um ihre Hand anhalten konnte?
Wenn Jocelyn wenigstens ihre Geschichte abdrucken ließe und damit seinen Namen reinwusch …
»Ich würde dich auch reich entschädigen für diesen Gefallen«, versprach er ihr. Irgendwie, egal wie, muss es doch gelingen , dachte er. Doch er wusste nicht, wie. Vermutlich musste er sie mit einem wertvollen Schmuckstück bestechen. Aber ehe er andeuten konnte, dass für sie eine Brosche oder eine Halskette bei der Sache herausspringen mochte …
»Ach, zum Teufel mit ihm!«, rief Jocelyn. »Komm, Roxbury. Wir gehen jetzt da raus und verraten all unsere Geheimnisse der Presse.«
Die wahre Identität des Mannes, der Bescheid weiß, war und würde auf ewig ein Geheimnis bleiben. Seit vierzig Jahren hatte er (oder sie?) die Geheimnisse der besseren Gesellschaft aufgezeichnet, hatte über das Leben der Reichen und Schönen, ihre Lieben, Skandale und Geheimnisse berichtet.
In diesen vierzig Jahren hatte er (denn es handelte sich um einen Mann) ein Netzwerk aus Informanten gespannt, das so groß und weitläufig war und so effizient arbeitete, dass in der Stadt nur wenig geschah, was ihm nicht zu Ohren kam. Er vertraute auf Dienstboten, die in den besten Häusern arbeiteten, auf Ladenbetreiber, auf Kellner in den Kaffeehäusern und auf die Waisenkinder auf der Straße, die für einen Penny alles ausquatschten, was sie mitbekamen.
Wenn eine Lady in Mayfair einen Schnupfen bekam, wunderte er sich in seiner Kolumne, ob sie möglicherweise schwindsüchtig sei. Wenn eine Zofe geheime Liebesbriefe zwischen einer jungen Lady und einem verbotenen Verehrer hin und her trug, zitierte der Mann, der Bescheid weiß, aus diesen Briefen. Wenn ein teuflischer Lord seine Siebensachen packte, um nach Gretna durchzubrennen, schaffte er es nicht bis vor die Tore der Stadt, bevor die London Times pikante Details veröffentlichte – vor allem den Namen seiner Reisegefährtin. Und wenn ein Paar von einem Diener spätnachts auf einem Ball in kompromittierender Umarmung angetroffen wurde, stand es am nächsten Morgen bereits in der Zeitung.
Dass der Mann, der Bescheid weiß, immer wieder neuen Stoff geliefert bekam, war allein der Bereitschaft der Gesellschaft geschuldet, immer und immer wieder über sich selbst zu reden.
Wie die besten Gastgeber hatte auch er Besuchszeiten: Man konnte den Mann, der Bescheid weiß, jeden Dienstag- und Donnerstagnachmittag in der Kirche St.
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