Rivalen der Liebe
Bride’s antreffen.
Diese Kirche war für die Sprechstunden eines Gesellschaftskolumnisten besonders gut geeignet. In der Fleet Street gelegen, war sie bekannt als die Kirche der Zeitungsleute. Hier befanden sich auch die letzten Ruhestätten vieler Romanschriftsteller und Dichter.
Wer den Mann, der Bescheid weiß, zu seiner Sprechstunde treffen wollte, musste einfach einen Mann suchen, der einen Mantel trug und die Kapuze so tief ins Gesicht gezogen hatte, dass man ihn nicht erkannte. Er kniete immer am Altar, als würde er beten, und die Besucher knieten sich neben ihn und »beichteten« dann ihrerseits – die deftigsten Geheimnisse, den neuesten Tratsch und die waghalsigsten Mutmaßungen.
Gelegentlich versuchte jemand, ihm die Kapuze vom Kopf zu ziehen, aber jeder dieser Versuche wurde vereitelt. Die meisten Leute hatten aber gar nicht die Absicht, das Geheimnis seiner Identität zu ergründen – es genügte, dass der Mann, der Bescheid weiß, alles Wissenswerte wusste und vor allem: alles ausplauderte.
Hier, am Altar, fand Jocelyn Kemble ihn dann auch wie erwartet vor und stellte alles, was in jüngster Zeit über Roxbury gemunkelt worden war, wieder in den richtigen Zusammenhang. Die Kapuze verdeckte seine Miene, doch hätte sie ihm direkt ins Gesicht sehen können, so wäre ihr aufgefallen, wie zwei unterschiedliche Gefühle miteinander rangen, als er die intimen Details um Roxburys Liebesleben erfuhr: einerseits Zufriedenheit, weil er jetzt die Identität von Roxburys skandalöser Liebschaft hinter der Theaterbühne kannte. Und zugleich Missfallen darüber, um wen es sich dabei handelte.
Trotzdem erschien die Geschichte am nächsten Tag in der Zeitung.
Kapitel 10
An diesem Morgen war Jocelyns Enthüllung in der Kolumne des Mannes, der Bescheid weiß, erschienen und landete auf allen Frühstückstischen in London. Auf dem Ball am Abend kochte Julianna förmlich vor Wut. Im Ballsaal plauderte sie nur kurz mit Sophie und Brandon, mit Lord Brookes, Lady Walmsly und einem halben Dutzend anderer Gäste, aber alle hatten nur ein Thema gehabt: Sie wollten ausschließlich über den so genannten Roxbury-Skandal reden.
Die ganze Zeit beobachtete Julianna scharf die älteren Gentlemen im Saal. Einer von ihnen musste der Mann, der Bescheid weiß, sein, und sie wünschte sich nichts mehr, als all ihrem Ärger Luft zu machen und ihm einmal so richtig ihre Meinung zu sagen, weil er ihr in letzter Zeit so große Schwierigkeiten machte.
Sie traute sich sogar ins Kartenzimmer, um den Mann, der Bescheid weiß, zu stellen, und nippte am Champagner, während sie eine Partie mit hohen Einsätzen beobachtete. Dort fand Roxbury sie schließlich und forderte sie zum Walzer auf. Der Mann hatte vielleicht Nerven! Wie dreist von ihm! Und dann auch noch dieses charmante Lächeln, das sie verlockte, sofort aufzuspringen, um an seinem Arm zur Tanzfläche zu schweben, und sie zugleich herausforderte, rundweg abzulehnen.
Eine andere Frau hätte verschüchtert Ja gemurmelt, hätte mit den Wimpern geklimpert und ihn dämlich angelächelt. Das könnte sie nie!
Die ersten Klänge des nächsten Tanzes strömten bereits vom Ballsaal in den Raum. Die Luft war vom Zigarrenrauch zum Schneiden dick. Die Gespräche hier im Kartenzimmer wurden gedämpft geführt, während ganze Vermögen nur von einer Karte abhingen und verloren gingen oder gewonnen wurden. Julianna nahm noch einen Schluck Champagner und versuchte, Roxbury zu ignorieren. Doch er dachte gar nicht daran, auf ihr Spielchen einzugehen und fragte einfach ein zweites Mal.
»Ihr seid ja verrückt, wenn Ihr glaubt, dass ich das tun werde«, antwortete Julianna kühl und bedachte Roxbury nur mit einem knappen Seitenblick. Dann schaute sie demonstrativ weg. Sie war zu wütend auf ihn, um ihn direkt anzusehen, nachdem sie die neue Geschichte in der Times gelesen hatte. Außerdem kannte sie seine samtig braunen Augen bereits, ebenso die hohen Wangenknochen und seinen Mund – und sie wusste, dass die Frauen Recht hatten, die behaupteten, dieser Mund sei zu nichts anderem als zum Küssen gemacht.
Jocelyn Kemble hatte dem Mann, der Bescheid weiß, alle intimen Details ihrer jahrelangen Affäre verraten, und Julianna hegte keinen Zweifel, dass Roxbury hinter der ganzen Sache steckte. Der Artikel schilderte seine Fähigkeiten als Liebhaber mit solcher Detailverliebtheit, dass Juliannas Wangen selbst noch in der Erinnerung vor Scham glühten. Wie konnte ein Verleger so etwas nur abdrucken?
Weitere Kostenlose Bücher