Riyala - Tochter der Edelsteinwelt 3: Unter dem Eis funkelt die Nacht: Fantasy-Serial (German Edition)
Mann von einem Bein auf das andere trat.
Bis auf die Heilertätigkeit, die sie und Nirikel ausgeübt hatten, hatten sie beide nie etwas mit den Dorfbewohnern zu tun gehabt. Sie waren stets Außenseiter gewesen, ohne es anders zu wollen.
„Wie du siehst, Tunan“, sprach Ayrun „bin ich gerade dabei, aufzubrechen. Ich gehe fort. Ich werde dein Dorf nicht wieder betreten.“
Bestürzung malte sich auf den Zügen des Mannes, und Ayrun seufzte innerlich. Sie würde doch zu seiner Frau gehen, sie wusste es. Ein Heiler hatte die Pflicht zu helfen.
„Du musst kommen! Sie ist sehr krank, sie braucht ein paar deiner wundersamen Kräuter! Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn du ablehnst!“, flehte Tunan. Er starrte sie an, und als er sah, wie sie den Kopf neigte, spürte er eine giftige Freude in sich aufsteigen. Sie würde mit ihm kommen!
„Was fehlt ihr?“, fragte Ayrun widerwillig. „Erhält sie genug zu essen?“ Tunan frohlockte bei sich, verneinte die Frage und begann dann, die Krankheitssymptome – die er sich sorgsam zurechtgelegt hatte – zu berichten, während sie zusammen den Weg zum Dorf beschritten.
Auf halber Strecke blieb Ayrun auf einmal stehen. Sie hatte den Geist des schwarzen Vogels gespürt, wie ein Schlagen schattenhafter Flügel vor ihren Augen, und jetzt erschloss sich ihr der Sinn jener Warnung. Jetzt verstand sie das Zeichen! Schrecken und Verwirrung packten sie.
„Wie kannst du das tun?“, stieß Ayrun hervor. „Was habe ich verbrochen? Wie könnt ihr alle das tun? Wir haben euch immer nur geholfen, meine Mutter und ich!“
Verstört wich der Dörfler zurück, sein Mund klappte auf und zu, doch kein Wort kam heraus.
Auch Ayrun machte ein paar Schritte rückwärts. „Deine Frau ist gar nicht krank, nicht wahr?“
Baumlose Ebene ringsum, nirgends ein Schutz. Und vom Dorf her kamen sie schon: mehrere Hundeschlitten. Gehetzt sah Ayrun sich nach allen Seiten um. Sie wandte sich zur Flucht, da trat Tunan heran, um sie zu ergreifen. Ayrun hob nur die flache Hand, und er zuckte zurück, lief dann davon, auf die Schlitten zu, wild mit beiden Armen winkend.
Ayrun floh in entgegengesetzter Richtung, nordwärts. Ein Schneesturm raste durch ihr Hirn.
Er hat mich in eine Falle gelockt! Die Eisgarde! Aber was wollen die von mir? Woher wissen sie überhaupt, dass es mich gibt?
Wenn sie ein paar Meilen durchhielt, würde sie das Lawinental erreichen, wo die Schlitten nicht mehr weiterkonnten. Noch war es nicht zu spät, sie hatte diese Ahnung von Gefahr rechtzeitig genug gespürt. Die beklemmende Angst des Verfolgten trieb Ayrun vorwärts. Immer wieder blickte sie sich um. Die Häscher kamen stetig näher, aber nicht sehr schnell. Ayrun erkannte im Licht der Fackeln die hellblaue Standarte der Eisgarde, die an jedem Schlitten flatterte.
Das Mädchen rannte und rannte über die festgefrorene Schneedecke – sie keuchte, das Blut klopfte ihr in den Schläfen, der schneidende Wind verbrannte ihre Wangen.
Ein einziges Mal stolperte sie, und als sie in Panik zurückschaute, sah sie, dass die Gardisten sich nicht allein auf die Schnelligkeit ihrer Gefährte verließen. Neben den hellgrauen Flecken, die die Schlitten zogen, jagten außerdem noch mindestens ein Dutzend weiße, größere Flecken voran: weiße Bluthunde! Diese kamen näher, immer näher.
Für einen Moment blieb Ayrun wie gelähmt stehen. Sie wusste nun, dass ihre Verfolger nur ihren Tod wünschten, denn weiße Bluthunde töteten alles, was sie jagten.
Ayrun lief weiter. Schon hörte sie das heisere Bellen der Hunde, und die Lawinenschlucht würde für sie auch kein Hindernis darstellen. Was sollte sie tun? Nur noch eine halbe Meile bis zu dem Ort, von dem sie sich Rettung versprochen hatte. Die Bluthunde würden sie kurz davor einholen – und zerreißen.
An Himmel ballten sich Schnee verheißende Wolken zusammen. Ayrun starrte zu ihnen hinauf – es würde zu lange dauern, bis sie ihre Flockenlast abwarfen.
Recht hatten wir, den anderen Eisrandleuten zu misstrauen!
, dachte die junge Hexe wild.
Wir gehören nicht zu ihnen, und sie hassen uns!
Flüchtig zog ihr bisheriges Leben an ihrem geistigen Auge vorbei, geprägt vom Einssein mit der unwirtlichen, aber reinen Natur, der wachsenden Freundschaft zu allen Tieren, der Verbundenheit mit Jagdbeute und Raubtieren …
Knapp hundertzwanzig Schritte lagen zwischen Ayrun und der Schlucht, die so angefüllt war mit Lawinengeröll, dass nur mehr eine leichte Einbuchtung zu sehen
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