Robbers: Thriller (German Edition)
bedeutet. Das ist was für die Armen und die religiösen Spinner.«
Er stützte den Arm, der dick wie der Ast einer Eiche war, gegen das Glas der Eingangstür. »Der Kerl da draußen zum Beispiel.«
Wharton deutete mit dem Kinn auf Lomax, der in der Einfahrt wartete. »Jetzt hat er jede Hoffnung verloren. Eine wandelnde Zeitbombe. Er fährt den Abschleppwagen da drüben, liest in der Bibel. Wenn wir nicht gut auf Harvey aufpassen, wirst du seinen Abschleppwagen ständig im Rückspiegel sehen. Vergiss die Gerichte. Er ist das fleischgewordene Gesetz, und ich spreche hier vom Alten Testament.«
»Soll ich mit ihm reden?«
Der Chief schüttelte den Kopf. »Bringt nichts. Der einzige Mensch, auf den Harvey je gehört hat, war seine Frau, und die ist tot.«
»Versteht er was von Polizeiarbeit?«
»Um Himmels willen, nein. Harvey ist Deputy. Die fahren durch die Gegend, tragen ein Abzeichen und erzählen den Leuten, dass sie das Gesetz vertreten. Reden sich gegenseitig mit ihrem Titel an und sorgen dafür, dass der Sheriff wiedergewählt wird. Du weißt, wie das läuft.« Er beobachtete den Mann durch das Glas. »Aber ich sag dir, wovon der alte Harvey was versteht. Von Waffen. Mit Waffen kennt er sich aus.«
Rule trat auf Wharton zu und blieb neben ihm stehen. Draußen auf der Einfahrt schien Lomax Gespräche mit sich selbst zu führen – oder mit jemandem, den niemand außer ihm sehen konnte. »Was trägt er bei sich?«
»Scheiße.« Der Chief neigte seinen großen Kopf zur Seite, ein Auge geschlossen. »Harvey? Der hat alles dabei, was nicht zu schwer zum Tragen ist. Harvey ist ein wandelndes Waffenarsenal.«
19
D en Lone-Ranger-Koffer lieferten sie bei Dellas Mutter in Missouri City ab. Das kleine aus Schindeln errichtete Haus thronte auf Betonpfeilern, die von Rissen durchzogen waren. Die gegenüberliegende Seite der mit Schlaglöchern übersäten Straße wurde ebenfalls von bröckelnden Betonpfeilern mit ähnlichen Holzhäusern gesäumt. Zwischen den Häusern und der Straße lagen Gräben und schäbige, überwucherte Vorgärten, in deren Unkraut Autowracks ohne Räder aufragten. Eine Arbeitergegend auf dem besten Weg zum Asozialenviertel. Das Haus von Dellas Mutter neigte sich ein wenig nach links, als wäre es müde und könnte sich nicht entscheiden, ob es stehen bleiben oder umfallen sollte.
»Hübsches Haus«, sagte Eddie.
»Findest du wirklich?«
»Na klar, echt hübsch.«
»Tja, jedenfalls war es das mal«, erklärte Della. »Bevor alles den Bach runtergegangen ist. Jetzt ist das ganze Viertel ein einziger Schrottplatz. Wenn hier mal ein Tornado durchfegen würde, könnte es eigentlich nur besser werden.«
Sie parkten am Straßenrand neben einem flachen, fast zugewachsenen Graben mit brackigem Wasser. Von dem trüben Gewässer wehte ein merkwürdiger Gestank herüber, eine Mischung aus warmen faulen Eiern und Schlamm. Della stieg zur Straßenseite hin aus, nahm den Koffer für die Kinder und ging die schmale, mit Austernschalen bedeckte Einfahrt hinauf, vorbei an einem zerbeulten Dodge Dart. Sie kam nur taumelnd voran, weil die spitzen Absätze ihrer Pumps auf den Muschelschalen schwer Halt fanden. Sie trug eine Sonnenbrille mit riesigen Gläsern, um ihr geschwollenes linkes Auge zu verbergen.
»Für mich sieht das nicht nach Schrottplatz aus«, erklärte Eddie. »Scheiße, das erinnert mich an Zuhause.«
»Aber nicht an meins«, sagte Ray Bob.
»Ich wusste gar nicht, dass du eins hast.«
»Jetzt weißt du’s.«
Als Della die fünf mal zwanzig Zentimeter messenden Holzstufen auf die durchhängende Veranda erklomm, stürmten zwei Kinder aus dem Haus und schlangen ihr die Arme um die Beine. Sie packte den größeren Jungen am Ohr und schüttelte seinen Kopf hin und her, bis ihm die Augen hervortraten. Eddie und Ray Bob konnten sie hören.
»Nimmst du deine Medizin, Randy?«
Der Junge steckte einen Daumen in den Mund und nickte.
»Schluckst du sie auch runter?«
Wieder nickte er. Mit einer Hand hielt er sich immer noch an Dellas Bein fest. Auch der kleinere Junge hatte begonnen, am Daumen zu lutschen. Della schlug ihm fest auf den Kopf, und er zuckte zusammen. »Also gut«, sagte sie. »Und dass ihr euch ja anständig benehmt. Hört ihr?«
»Ich schätze, das dürfte das Beste sein«, sagte Eddie.
Die Fliegengittertür zur Veranda öffnete sich, und eine Frau steckte den Kopf heraus. Ihr vertrocknetes Schildkrötengesicht war von tiefen Falten durchzogen und wirkte erschöpft und
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