Robbers: Thriller (German Edition)
Gas zu geben. Und doch hatte er genau das getan. Er hatte ihm gut zugeredet, ihn angetrieben. Das hohe Gras an der Straße war vorbeigewischt wie ein verschwommener Fleck, die grünen Felder eines wie das andere, nebensächliche Nichtigkeiten jenseits der Realität des schmalen Asphaltstreifens, der unter den Rädern verschwand, jenseits des Motors, seines Herzens, seines Versprechens.
Auf diese Weise hatte er ihn erwischt. Unmittelbar nördlich von Brazoria war der Dodge Pick-up des Rangers aus dem Grau vor ihm aufgetaucht wie eine auf ihn zurasende Fata Morgana. Er hatte die Geschwindigkeit gedrosselt und war ihm durch Fort Jackson hinunter ins Delta bis nach Freeport gefolgt. Dann hatte er ihn in der Nähe der Surfside-Brücke verloren. Gerade noch war er da gewesen und im nächsten Moment verschwunden.
Einfach weg.
Verzweiflung hatte ihn übermannt. Er hatte den Abschleppwagen am Straßenrand abgestellt und geweint. Und dann durch ein Gebet, durch den Glauben neue Kraft gefunden. Denn es war eine Sünde, die Hoffnung zu verlieren. Eine Stimme hatte zu ihm gesprochen und ihm gesagt, dass der Ranger zurückkommen würde, wenn er nur wartete. Er sollte wie die Jungfrau im Garten sein, die auf den Bräutigam wartet. Schlafe nicht und halte treu die Nachtwache. Die Stimme hatte gesagt: Lass die Lampe nicht verlöschen. Und weder hatte er sie verlöschen lassen, noch hatte die Stimme sich getäuscht. Eine Stunde später war sein Glaube durch das Auftauchen des roten Pick-ups belohnt worden, und er hatte sich wieder an ihn drangehängt, bis er bei diesem Motel in der Nähe des Brazos gestoppt hatte.
Und wieder hatte er gewartet, beobachtet. Hatte sich neben dem Motel im Schatten herumgedrückt, wachsam wie ein Jäger kurz vor dem Morgengrauen. Aufmerksam, vorsichtig, geduldig. Eine Weile lang war nichts passiert, dann hatte der hochgewachsene Ranger die Straße zum Truckstop überquert. Abendessen im Restaurant, Dessert in einer Bierkneipe. Er war zusammen mit einer Frau in seine Hütte zurückgekehrt. Die später verschwunden war, weinend. In der Hütte hatte noch eine Zeit lang Licht gebrannt, ehe es schließlich erlosch.
Daraufhin hatte er seine Decke hinter dem Abschleppwagen auf dem Boden ausgebreitet, ohne einschlafen zu können. Mücken und Regen waren nur ein Teil des Problems gewesen. Ein anderer quälender Gedanke: Er hatte sich gefragt, was für ein erbärmlicher Mann dieser Ranger sein musste, der bei seiner geheiligten Mission, das Gesetz zu vollstrecken, Zeit fand zum Essen, zum Trinken, für Frauen. Der die Reinheit einer heiligen Aufgabe durch die gedankenlosen Sünden eines Verdammten befleckte. Diese Frage hatte sein geplagtes Hirn mehr gequält als die Insekten. Mit diesem Dämon hatte er während des Regens gerungen. Seufzend. Betend. Um eine Antwort flehend. Und diese Antwort hatte er schließlich bekommen. Die Stimme hatte sich wieder gemeldet und ihm dargelegt, dass die moralische Verworfenheit des Rangers nicht der entscheidende Punkt war. Der Ranger war zwar nur ein Werkzeug, doch auch ein Führer. Der ihn, Harvey Lomax, zu einem höheren Ziel leiten würde. Ein göttlicher, wenngleich unreiner Polarstern für eine wahrere Gerechtigkeit und ein wahreres Herz, nämlich seines.
Und jetzt wusste er, dass er ihn abermals verloren hatte. Im Tageslicht war der Stern verblasst, verschwunden. Er hatte zu lange geschlafen. Das Öl in der Lampe war zu Ende gegangen, die Nachtwache fehlgeschlagen. Letztlich hatte er die Prüfung doch nicht bestanden. Die Schwachheit des Fleisches, die Schwachheit des Fleisches.
Lomax starrte auf die Hütte, in der der Ranger übernachtet hatte und die jetzt verlassen war. Dann schlug er sich mit den Fäusten an den Kopf. Er fiel auf die Knie und weinte, begann zu beten. Schließlich erhob er sich und marschierte mit großen Schritten über den Grasstreifen vor dem Motel und direkt hinein ins Büro. Die Angestellte hinter dem Tresen, eine füllige kleine Frau mit dunkler Haut, starrte in das grimmige, grob geschnittene Gesicht unter dem zerzausten Haar und wich einen Schritt zurück. Dabei hielt sie einen Kugelschreiber mit beiden Händen vor sich wie ein Kruzifix.
»Ja«, sagte sie. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich suche einen Kerl mit einem roten Truck. Diesen Ranger.«
Die Frau blinzelte und packte ihren Kugelschreiber noch fester. »No esta« , sagte sie. »Ist weg.«
»Hat er sich abgemeldet?«
»Nein, Señor .«
»In Ordnung.«
Abrupt drehte sich Lomax
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