Roberts Schwester
meiner Selbsteinschätzung, noch einem leblosen Ding meinen Willen aufzuzwingen, indem ich es in eine bestimmte Form brachte. Ich begann damit, die Nächte, in denen Robert nicht heimkam, im «Cesanne» zu verbringen. Dabei kam ich zwangsläufig mit Serge ins Gespräch. Seine Ähnlichkeit mit Robert machte es mir leichter, ihm auch Dinge anzuvertrauen, über die ich normalerweise nicht sprach. Zum Beispiel, dass ich seit Jahren zu Piel ging, obwohl ich ihn für einen ausgemachten Stümper hielt. Anfangs fragte Serge, warum ich nicht einfach den Therapeuten wechselte. Darauf gab es nur eine Antwort. Ich wollte nicht noch einmal von vorne anfangen, dieses Bohren und Stechen an all den Punkten, an denen es wehtat. Trostlose Kindheit, ein Bett voller Puppen, Plüschbären in allen Größen, aber nie ein gutes Wort, nie eine streichelnde Hand in den ersten sieben Jahren. Und irgendwann sagte Serge:
«Du brauchst keinen Seelenklempner, Mia. Du brauchst einen Mann, dann hast du zwei streichelnde Hände und einiges mehr. Wegen der paar Kratzer in deinem Gesicht solltest du keine Hemmungen haben. Du hast doch bestimmt Vorzüge, mit denen sich ein paar kleine Mängel ausgleichen lassen.»
Es ergab sich dann so. Mir war bis dahin nicht der Gedanken gekommen, mir einen Mann zu kaufen. Aber es hatte ein paar Vorteile. Wer zahlt, fühlt sich nicht wie ein Almosenempfänger. Und es lenkte ein wenig ab. Ich fragte mich jedenfalls nicht, in welchem Bett Robert gerade lag und wie viel er dafür zahlen musste. Großartige Hoffnungen oder Illusionen machte ich mir nicht. Ich musste schließlich nur in den nächsten Spiegel schauen, um genau zu wissen, was einen Mann wie Serge Heuser veranlassen konnte, sich mit mir einzulassen. Aber es störte mich nicht. Geld hatte ich genug, und er war sein Geld wert. Zeitweise dachte ich sogar daran, die Therapie bei Piel abzubrechen, ehe er mir erklären konnte, dass ich mit Serge am Ende meiner «rastlosen Suche nach einem Ersatz»
angelangt sei. Jedes Mal, wenn ich mit ihm hinauf in seine kleine Wohnung stieg, war mir bewusst, wie Piel es beurteilen musste. Ich glaube fast, es stellte einen besonderen Reiz dar. Ein wenig Phantasie und ein paar Drinks konnten die kleinen Unterschiede zwischen Serge und Robert völlig verwischen. Ein paar Mal nahm ich mir vor, es ihm zu erzählen. Das tat ich dann doch nicht. Und die Therapie brach ich auch nicht ab. Manchmal war es ja ganz amüsant, sich Piels Versionen anzuhören. Wenn ich ihm lange genug zuhört hatte, kam ich oft selbst auf die Wahrheit, sofern es bei der Seele überhaupt eine Wahrheit gab. Dann kam der zweite Bericht des Detektivs. Er war ausführlicher als der erste. Auch der Mann war sein Geld wert. Er hatte keine Mühe gescheut, Licht in Isabells Vorleben zu bringen. Ihre Eltern waren tatsächlich sehr einfache Leute gewesen und an einer Lebensmittelvergiftung gestorben. Ihr Bruder Jonas wurde von ehemaligen Nachbarn als ehrliche Haut bezeichnet, ein fleißiger und redlicher junger Mann, der sich mit Nachtarbeit das Ingenieurstudium finanziert und die «Kleine», wie Isabell von ihren früheren Nachbarn genannt wurde, nach dem Tod der Eltern an der kurzen Leine gehalten hatte. Als Jonas ins Ausland ging, verschwand Isabell ebenfalls aus dem Mietshaus, in dem sie aufgewachsen war. Aber der Detektiv hatte sich nicht nur in der Nachbarschaft umgehört. Und so kam einiges mehr zusammen. Isabell hatte nur ein knappes halbes Jahr bei einer Bank gearbeitet. Mit neunzehn hatte sie einen Mann kennen gelernt, Horst Fechner. Schon nach kurzer Zeit war sie zu ihm gezogen. Und verlassen hatte sie ihn erst an dem Tag, an dem die kleine Wohnung frei wurde, für die Robert sämtliche Kosten trug. Das bedeutete, sie hatte noch in Horst Fechners Bett gelegen, als Robert ihr das Collier schenkte. Sie war nach ihrem ersten Besuch in unserem Haus und auch noch nach dem zweiten und dem dritten zurück zu diesem Mann gefahren. Dass sie mich mit der Wohnung belogen hatte, kümmerte mich nur am Rande. Es bewies, dass ich mich nicht geirrt, dass ich in allen Punkten Recht gehabt hatte. Der Mann auf dem Foto konnte nur Horst Fechner sein. Ich glaubte vor Wut zu platzen, als ich mir vorstellte, dass Robert sie hier zum Bahnhof gebracht, sich mit einem langen Kuss und ein paar sehnsüchtigen Worten von ihr verabschiedet hatte. Und in Frankfurt hatte Fechner sie schon erwartet. Da konnte sie ihm gleich berichten, dass alles hervorragend lief, dass man sich
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