Roberts Schwester
finanziellen Crash zu vermuten. Bei ihm jedenfalls hatten sie so getan, als hielten sie Roberts Tod für den letzten Schritt eines Mann, der keinen anderen Weg aus seiner Misere gesehen hatte. Ich fasste es nicht, Wolbert hatte doch zugeben müssen, dass sie keine Waffe gefunden hatten. Wie konnten sie da einen Selbstmord in Betracht ziehen? Olaf wusste auch nicht, was er davon halten sollte. Er hatte ihnen so weit als möglich Auskunft gegeben und wiederholt versichert, dass er hohe Spekulationsverluste und einen Freitod für ausgeschlossen hielt. Sie wollten trotzdem an Roberts Computer, einen Finanzexperten herschicken, um diese Möglichkeit völlig auszuschließen. Aber dazu brauchten sie mein Einverständnis. Olaf riet mir dringend ab, es zu geben. Ich sah keinen Grund, warum ich mein Einverständnis verweigern sollte.
«Das musst du selbst entscheiden, Mia», sagte er.
«Ich möchte nur, dass du weißt, du bist nicht dazu verpflichtet.»
«Gut, das weiß ich jetzt. Aber lass sie sich doch ihren Überblick verschaffen. Dann sehen sie wenigstens, dass sie sich im Irrtum befinden. Und solange sie damit beschäftigt sind, haben sie keine Zeit für andere Aktivitäten.»
Olaf wurde sofort misstrauisch.
«Was soll das heißen, Mia?»
Ich erzählte ihm der Reihe nach, nur das Wesentliche. Ein paar Drinks, eine Cliradon, Blackout und ein sauberes Pärchen im ersten Stock, das wochenlang auf diese Situation hingearbeitet hatte und sie geschickt für sich zu nutzen wusste. Als ich wieder schwieg, schaute Olaf mich länger als eine Minute nur an. Es fiel ihm offensichtlich schwer, mich zu fragen. Dass er es überhaupt tat, werde ich ihm nie verzeihen.
«Hast du Robert erschossen, Mia?»
Ich stand auf, ging zur Tür, öffnete sie und zeigte demonstrativ in die Halle. Olaf seufzte vernehmlich.
«Mia, so wie du mir die Lage geschildert hast, wird die Polizei dich über kurz oder lang das Gleiche fragen. Und es wäre gut für dich, du hättest dann eine bessere Antwort.»
Er hatte ja Recht, nur hatte ich keine bessere Antwort. Dort, wo sie sein sollte, hatte ich ein Loch in meinem Schädel, ein größeres als Robert.
«Hilfst du mir?»
Es fiel mir nicht leicht, ihn das zu fragen. Er hob die Schultern und machte dabei keinen sonderlich glücklichen Eindruck.
«Wie soll ich dir denn helfen, Mia? Sehen wir die Dinge doch einmal ganz nüchtern. In all den Jahren hast du es immer wieder geschafft, Robert die Frauen auszureden, die ihm gefielen. Wenn du keine Argumente hattest, hattest du eben Kopfschmerzen. Dann kam Isa. Du hast mit allen Mitteln gegen sie gekämpft.»
«Gegen sie», erklärte ich heftig,
«nicht gegen Robert. Ich hatte kein Motiv, ihn zu töten.»
Olaf lächelte, es wirkte auf mich eher wie ein Weinen.
«Ich will dich nicht verletzen, Mia, aber wie oft sitzt du hier und betrachtest deinen halbfertigen Zyklop, oder wie immer du das Ding nennen wolltest? Wie oft gehst du täglich an einem Spiegel vorbei? Warum hast du dich nicht längst operieren lassen? Ich sage es dir. Du wolltest deine Narben behalten. Du wolltest ein gut sichtbares Zeichen, das Robert täglich an seine Schuld erinnerte. Und als er sich nicht mehr erinnern lassen wollte, hast du die Nerven verloren. Du hattest ein Motiv, Mia, du hast es zehn Jahre lang gepflegt.»
Er hatte sich in Form geredet und hörte so rasch nicht wieder auf. Als Nächstes kam er auf den Donnerstag zu sprechen, auf die Stunden, die er mit Robert verbracht hatte. Robert sei so bedrückt und deprimiert gewesen, erklärte er, als ob ich das nicht selbst gewusst hätte. Er hätte nicht konkret über seine Probleme sprechen mögen, nur Andeutungen gemacht. Dass er nicht mehr wisse, was er von meinen wilden Behauptungen und Verdächtigungen gegenüber Isabell und Jonas halten sollte.
«Er hatte mit Piel gesprochen», kam Olaf zum Ende seiner Litanei.
«Nur hatte Piel sich auf seine Schweigepflicht berufen und ihm keine Auskunft gegeben.»
«Und was wollte er von Piel hören?», fragte ich. Olaf zuckte mit den Achseln.
«Ich habe ihn nicht gefragt. Als er sich verabschiedete, sagte er, er hätte eine andere Möglichkeit gefunden, sich Gewissheit zu verschaffen. Und er müsse endlich etwas tun. Ihm seien in letzter Zeit ein paar Dinge aufgefallen, die könne er nicht länger ignorieren.»
Er betrachtete mich, als warte er auf eine Reaktion. Ein paar Dinge aufgefallen! Was wollte er denn darauf von mir hören? Dass mir auch ein paar Dinge aufgefallen
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