Roberts Schwester
Menschen hier, der seine fünf Sinne beisammen hat. Und ich sagte ihm, dass ich es nicht einrichten kann. Seine Großmutter ist krank, weißt du, es geht mit ihr zu Ende. Ich wollte sie nicht allein lassen. Das verstand er. Ich sagte, du hast doch Mia bei dir. Da lachte er. Er lachte nur, Mia. Was ging denn hier vor?»
Ich konnte ihr darauf nicht antworten. Einen Menschen, der seine fünf Sinne beisammen hat. Ich hatte die meinen nicht beisammen gehabt. Ich hatte sie in Wodka und Spezialdrinks ersäuft. Aber das hatte Robert seiner Mutter verschwiegen. Und mir hatte er verschwiegen, dass er sie um einen Besuch gebeten hatte. Vor einer Woche! Was war denn vor einer Woche gewesen? Sonntag, mehr fiel mir dazu nicht ein. Etwas Besonderes war nicht vorgefallen. Ich war das gesamte Wochenende daheim gewesen und hatte gewartet, Stunde um Stunde gewartet, dass Robert ein paar Minuten Zeit und ein liebes Wort für mich fand. Den ganzen Samstag hatte ich ihn nur zweimal kurz zu Gesicht bekommen. Gefrühstückt hatte er nicht mit mir. Ich glaube, er hatte gar nicht gefrühstückt. Mittags war er bei Jonas. Sie aßen zu dritt in seinem Zimmer. Am Nachmittag kam Olaf. Er begrüßte mich nur flüchtig und ging auch gleich hinauf. Bis nach Mitternacht saßen sie zu viert da oben, unterhielten sich bei einer Flasche Wein. Stunde um Stunde hatte ich sie lachen hören. Ich hatte auch nicht gefrühstückt. Ich mochte nicht alleine am Tisch sitzen. Getrunken hatte ich am Vormittag kaum mehr als ein oder zwei Gläser, im Höchstfall drei, nachmittags ein bisschen mehr. Und abends, als sie sich in Jonas’ Zimmer amüsierten, hatte ich im Wintergarten gesessen, die Pflanzen betrachtet und mich an Marlies erinnert, an das beschauliche Leben mit ihr. Oft war es auch fröhlich gewesen. Wir hatten viel zusammen gelacht, vor allem in der letzten Nacht. Warum hatte ich sie nicht auf den Notsitz steigen lassen? Roberts Kinder könnten bereits zur Schule gehen. Und jeden Sonntag käme Robert mit ihnen zum Friedhof, sie würden mir Blumen aufs Grab legen und ihnen erzählen, dass ich wohl sehr berühmt geworden wäre mit der letzten Arbeit, mit der besten, die leider nicht mehr fertig wurde. Aber der Steinklotz hätte mein Grabstein sein können. Zwischen zwei und drei in der Nacht hatte Robert mir dann für eine halbe Stunde Gesellschaft geleistet. Er war aufgewacht, weil er meinte, dass ich wieder einmal ruhelos im Haus herumgegeistert sei. Ein schlechtes Gewissen hatte er, weil er mich so vernachlässigt hatte. Und erleichtert war er, mich im Wintergarten zu finden – ohne Wodka.
«Können wir reden?», hatte er gefragt. Aber ich wusste nicht mehr, worüber wir noch reden sollten. Über Olaf, der kurz nach Mitternacht verschwunden war, ohne sich von mir zu verabschieden, lohnte sich kein Wort mehr zu verlieren. Zu Jonas mochte ich mich nicht äußern, seine Heldentaten in der Wüste interessierten mich einen feuchten Dreck. Und Isabell, da war nun von meiner Seite aus wirklich alles gesagt worden.
«Ich dachte schon», hatte Robert gesagt,
«ich hätte dich wieder einmal aus deinem Bett vertrieben.»
«Das hast du noch nie», hatte ich geantwortet. Gelächelt hatte er, dieses gequälte Lächeln, das mich in jeder Nervenfaser schmerzte.
«Da habe ich einen anderen Eindruck. Meinst du, mir sei nie aufgefallen, dass du regelmäßig im Atelier übernachtest, wenn ich mich noch mit Isa unterhalte?»
«Du unterhältst dich ja nicht mit ihr», hatte ich gesagt.
«Du bettelst sie an, und das will ich nicht hören.»
Daraufhin hatte er genickt und festgestellt:
«Also doch.»
Nachdem ich ihm versichert hatte, dass ich den ganzen Abend nicht in meinem Zimmer gewesen sei, auch nicht im Atelier oder auf der Galerie, war Robert wieder hinaufgegangen. Es war doch etwas Besonderes gewesen, der letzte friedliche Moment mit ihm, die letzte halbe Stunde, in der er mir das Gefühl gegeben hatte, dass ich ihm noch nicht völlig gleichgültig geworden war. Aber davon hatte er seiner Mutter nichts erzählt. Nachdem sie das Bett hergerichtet und sich frisch gemacht hatte, bestand Lucia darauf, Jonas zu begrüßen. Da er an der Hochzeit seiner Schwester nicht teilgenommen hatte, sah sie ihn zum ersten Mal. Sie war freundlich, sehr herzlich. Und er gab sich bieder, veranstaltete ein widerliches Getue, wie viel Gutes Robert ihm über sie erzählt habe. Wie sehr er es bedaure, sie unter solch traurigen Umständen kennen zu lernen. Isabell tat zwei
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