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Roberts Schwester

Roberts Schwester

Titel: Roberts Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Schluchzer dazu.
    «Armes Kind», sagte Lucia und nahm sie in die Arme. Ich hielt es nicht länger aus, ging hinunter in die Küche, richtete das Abendessen für Lucia und mich und trug alles hinüber ins Esszimmer. Als Lucia wenig später herunterkam, war sie entrüstet.
    «Nimm noch zwei Gedecke aus dem Schrank und bring alles hinauf, Mia. Wir werden alle in meinem Zimmer essen.»
    Ich hätte ihr jeden Gefallen getan, diesen nicht. Als ich den Kopf schüttelte, schaute sie mich zwei Sekunden lang schweigend an, dann fragte sie:
    «War es das, was Roberto meinte? Du benimmst dich unmöglich, Mia. Was hat Isas Bruder dir getan?»
    Und wieder konnte ich ihr nicht antworten. Sie hätte das nicht verstanden. Sie war nicht der Mensch, der sich mit Abschaum auseinander setzen konnte. Jonas war erst seit knapp einer Woche im Haus gewesen, als ich nachts nicht schlafen konnte. Nebenan bettelte Robert und bekam nur eine patzige Antwort.
    «Kannst du nicht ein bisschen Rücksicht nehmen? Mir war den ganzen Tag übel. Ich bin müde, und mir tut der Rücken weh. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.»

    «Wir sollten doch einen Pfleger einstellen», sagte Robert.
    «Ich habe mir gleich gedacht, dass es für dich zu viel wird.»

    «Nein, so viel Arbeit ist es nicht», sagte sie.
    «Es ist auch nicht schwer. Mir macht nur diese Übelkeit zu schaffen. Vielleicht habe ich mir den Magen verdorben.»
    Ich wollte hinuntergehen, um mir einen Wodka zu holen. Auf der Galerie sah ich Licht aus Jonas’ Zimmer fallen, nur einen schmalen Streifen. Die Tür war nicht ganz geschlossen. Und ich hörte deutlich das Stöhnen, es klang fast nach einem Schluchzen. Er tat mir so Leid in diesem Moment. Ich wusste nur zu gut, wie man sich fühlte, wenn das Begreifen in der Nacht zu einem Berg anwuchs, den man nicht überwinden konnte. In den ersten Wochen damals waren die Nachte unerträglich gewesen. Tagsüber lenkte der Klinikbetrieb ein wenig ab. Aber nachts war ich allein mit all dem, was unwiederbringlich verloren war. Mein Arm, mein Auge, mein Gesicht, Olaf, Marlies und die unbelastete Liebe zu Robert. Nur konnte ich nie darum weinen. Ich konnte das eben nicht. Ich konnte es nie und beneidete Jonas fast ein wenig um diese Fähigkeit. Natürlich war es ein Fehler, nicht anzuklopfen. Aber ich erinnerte mich auch noch gut an die Nächte, als ich aus der Klinik wieder daheim war und in meinem Zimmer lag mit diesem Loch im Innern, das sich mit nichts mehr auffüllen ließ. Die Verzweiflung, nur ein gieriges, gefräßiges Raubtier, dem ich nicht gestatten durfte, über mich selbst oder gar über Robert herzufallen, weil es uns beide verschlungen hätte. Manchmal war mir so sehr danach gewesen zu reden. Und es war niemand da. Zu Piel ging ich noch nicht wieder, das kam erst später. Robert litt ohnehin noch unter seinen Schuldgefühlen, ihn wollte ich nicht zusätzlich mit meiner Leere belasten. Mit dieser Überflüssigkeit, die sich hundertmal am Tag fragte, warum habe ich es überlebt? Die nachts gar keine Ruhe geben konnte. Und ich konnte meine Tür nicht offen lassen. Im Gegenteil, ich war gezwungen, sie zu verschließen, damit Robert nicht unvermittelt mit diesem Raubtier konfrontiert wurde. Ich wusste nicht viel über den Unfall von Jonas, aber ich glaubte genau zu wissen, was er empfand und vermisste. Und ich dachte, es wäre gut für ihn, wenn er darüber reden könnte. Ich dachte auch, dass ich dafür besser geeignet war als Isabell oder sonst jemand. Ein tragischer Irrtum auf der ganzen Linie. Jonas lag auf dem Bett, mit nichts weiter auf dem Leib als einer Unmenge krauser Härchen. In einer Hand hielt er die Fernbedienung. Als ich eintrat, wurde der Bildschirm augenblicklich dunkel. Wirklich eine schnelle Reaktion. Die zweite Hand reagierte nicht so rasch. Jonas ließ sie gleich dort, wo sie war, und grinste mich an.
    «Kannst du nicht anklopfen?»
    Es war für mich eine merkwürdige Situation, eine Mischung aus Mitleid und Erregung. Von Lucia hatte ich in einem Telefongespräch erfahren, dass Gefühllosigkeit im Unterleib nicht unbedingt jede Reaktion ausschloss. Und was Jonas da in der Hand hielt, war eine sehr heftige Reaktion.
    «Soll ich dir helfen?», fragte ich und erkannte meine eigene Stimme kaum. Sie war ganz rau. Er grinste immer noch.
    «Meinst du, du kannst mir helfen? Wie hast du es dir denn vorgestellt? Dein Bruder und meine Schwester und wir beide, zwei Krüppel, und alle leben glücklich und zufrieden unter einem Dach?

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