Robinas Stunde null
Menschentyp, den homo miscere, jenen, dessen Gene die Vielfalt der Spezies widerspiegeln:
Groß und stämmig, muskulös der bräunliche Körper, ein
rundes Gesicht mit asiatischem Touch und kleiner Nase.
Augenblicke lang vertiefte sich Robina in die Betrachtung
dieses männlichen Körpers. Ein Sehnen nach Wärme und
Zärtlichkeit überfiel sie, hielt sie sekundenlang gefangen,
verwirrte sie und entrückte sie der Wirklichkeit Dann riss sie
sich vom Anblick los. ,Hoppla, altes Mädchen’, sagte sie sich
und lächelte in sich hinein.
Längst hatte Robina ihr Umherwandern im Raum
aufgegeben. Mit angezogenen Knien saß sie vor der Kabine
und blickte in die Bewegungslosigkeit in derem Inneren, die
auch nach dem Entfernen der Nährleitungen geblieben war.
In der 22. Stunde fielen ihr vor Übermüdung die Augen zu.
Als Robina munter wurde, schaute sie in das Gesicht der
Frau, die aufrecht auf ihrem Lager saß und mit einer
langsamen Drehung des Kopfes und erstaunt weit geöffneten
Augen um sich blickte, offenbar gerade aus ihrem tiefen Schlaf
erwachend.
Robina sprang auf. Ihr erster Gedanke: Diesem Roboter
kräftig die Meinung sagen, weil er sie den entscheidenden
Augenblick verschlafen ließ. Doch sie bemerkte schnell, dass
sie nichts verpasst hatte: Ganz sicher würde die Frau noch eine
Weile benötigen, bis sie völlig wach sein würde. Denn noch
war nicht zu erkennen, dass sie sich in ihrer Umgebung
zurechtfand. Und – die ersten Regungen des Wachwerdens
konnte Robina an dem Mann beobachten, der zunächst den
Kopf langsam hin und her bewegte, dann die Arme anwinkelte,
schließlich sich taumelig aufsetzte und ebenso
geistesabwesend wie seine Partnerin den leeren Blick langsam
durch den Raum wandern ließ.
Robinas Erregung erreichte einen Höhepunkt. Sie spürte
ihren Herzschlag bis in die Schläfen, ihre Augen füllten sich,
den Blick verschleiernd, mit Tränen.
Eine Sekunde lang blickte sie bittend auf Birne. Doch der
stand unbeweglich und dachte offensichtlich nicht daran, die
Kabine zu öffnen.
Doch der Vorgang der Ankunft der beiden Menschen vollzog
sich immer schneller. Noch starren Blicks begann die Frau mit
der rechten Hand fahrig über ihren Körper zu tasten. Die
Bewegungen wurden zusehendst gezielter, der Blick wacher.
Robina hing förmlich an der Glaswand. Sie atmete heftig, in
ihrem Kopf hämmerte es: ,Komm, komm…’ Sie sah nicht,
dass sich die gegenüberliegende Wand der Kabine langsam,
von Birne gesteuert, hob.
Die Frau wendete den Kopf, ihr Gefährte geriet in ihr
Blickfeld, und da kam der Ruf, belegt und zwiefach angesetzt:
„Oman!“
Der Mann drehte ihr den Kopf zu. Über sein bis dato noch
stumpfes Gesicht lief eine Welle des Erkennens. „Astrid“,
hauchte er.
Robina stürzten unaufhaltsam die Tränen über die Wangen.
Seit fast drei Jahrzehnten hörte sie die ersten menschlichen
Laute wieder… Sie hätte jubeln mögen. –
23
Mit einem Schnapplaut rastete die geöffnete Wand ein. Robina
gewahrte das, und rasch rannte sie um das Geviert, die linke
Hand kindlich am Glas entlangschleifend. In der Kabine
verlangsamte sie plötzlich den Schritt, als beginge sie ein
Sakrileg. Sie hielt den Blick auf die Frau gerichtet, ging an
deren Seite und kniete vor dem Lager nieder. Behutsam griff
sie nach den Händen Astrids und sagte leise, mit belegter
Stimme: „Ich grüße dich, Astrid!“
Die Frau blickte befremdet auf die Kniende. „Wer bist du?“,
fragte sie heiser. Und dann ging es wie ein Schreck über ihr
Gesicht. Offensichtlich erinnerte sie sich ihrer Situation, ihres
Umfelds. „Wie kommst du hierher?“, rief sie.
Langsam löste sich in Robina die Spannung. Sie empfand
eine unbändige Freude, hob die Rechte und rief grüßend:
„Hallo, Oman!“
Er sah mit klarem Blick verwundert auf die beiden Frauen.
Astrid rutschte zum Rand der Liege, stellte die Füße auf den
Fußboden und stand auf. Sie taumelte, stützte sich rasch auf
Robinas Schulter, lächelte wie entschuldigend. „Es
geht
schon“, hauchte sie, als Robina sie stützend unterfasste.
Birne rückte an die Seite von Omans Lager. Dieser begriff.
Auch er stand auf, stemmte jedoch beide Hände auf des
Roboters Körper und benutzte diesen gleichsam als Gehhilfe.
„Ich habe Durst“, sagte Astrid. Sie strebte, stark gestützt von
Robina, in die Diele, von da aus schnurstracks in die Küche
und dort an den Kühlschrank.
Jede Frage Robinas nach der Zugehörigkeit der
wohleingerichteten Wohnung erübrigte sich.
Astrid
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