Robinas Stunde null
Entsetzt hatte Robina Omans Bericht verfolgt, oft begleitet von
Lauten schrecklicher Verwunderung. So also stellte sich der
Kontakt der Anderen mit den Menschen dar, auf diese
furchtbare Art haben sie sich kennen gelernt. ,Deshalb weiß
der Erste, wie wir sind, wie ich bin – ein Ergebnis blutrünstiger
Obduktionen!’ Robina wusste, das zu verkraften, würde sie
noch lange brauchen.
„Und ihr? Euch haben sie gekidnappt!“ Robina nutzte die
Pause für ihre Suggestivfrage.
„Wo denkst du hin. Wir sind freiwillig hier und auf eigenen
Wunsch“, antwortete Astrid.
„Trotz des Horrors, den jene über die Menschen gebracht
haben?“
„Ist es nicht ein Ereignis sondergleichen?“, fragte Astrid
euphorisch zurück. „Endlich, endlich ein erfüllter
Menschheitstraum! Und wir sind dabei! Wann schon hatten
Anthropologen eine solche Gelegenheit! Wir sind nämlich
Anthropologen.“ Sie fasste Oman um die Schulter und fuhr
sachlicher fort: „Die diktatorische Führungsequipe existiert
nicht mehr.“
„Da würde ich nicht darauf bauen“, gab Robina zu bedenken.
„Auf diesen Schiffen hier befindet sich nur ein kleiner Teil von
ihnen, und nur die haben irdische Erfahrungen. Etwas
anderes…“ Robina fragte interessiert. „Wann wollt ihr wieder
zurückkommen?“
Den Bruchteil einer Sekunde huschte so etwas wie Wehmut
über Astrids Gesicht. „Wahrscheinlich nie“, sagte sie dann
obenhin. „Stimmt’s Oman? Wir haben alle Brücken hinter uns
abgebrochen. Und du?“
„Ich werde in zirka zwölf Jahren abgeholt…“, Robina verzog
die Mundwinkel, „hoffe ich jedenfalls. Der Erste hat mir
versichert, einen Spruch zur Erde abgesendet zu haben.“
„Na, da drücke ich dir die Daumen. Dass das verdammt
unsicher ist, weißt du. Aber…“, und Astrid lächelte, „da kannst
du ja unseren Bericht über unser Erleben bei denen
mitnehmen. Wir hatten schon Sorge, dass man auf der Erde
von uns nichts mehr erfahren wird.“ –
Die Wissbegier ihrer Reisegefährten konnte Robina
verhältnismäßig schnell befriedigen. Nicht so umgekehrt.
Sie informierten sich gegenseitig über Herkunft und
Werdegang. Danach hatten sich Astrid und Oman während des
Studiums an der Universität in Kapstadt kennen gelernt. Vom
Elternhaus hatten sich beide frühzeitig gelöst, an
Ausgrabungen in Äthiopien teilgenommen und aneinander so
viel Gemeinsamkeiten entdeckt, dass sie meinten, eine
längerfristige Partnerschaft eingehen zu können. Mit als Erste
zum Freiwilligen-Corps gemeldet, kämpften sie in vorderster
Front gegen die kosmischen Invasoren und erreichten bei den
Friedfertigen durch intensives Bemühen die Einwilligung zur
Mitreise. Die Auswahl aus einer Vielzahl von Bewerbern
hatten sie ihrer Unabhängigkeit und der Fürsprache ihres
ehemaligen Professors zu verdanken. Die Anderen hatten
ihnen auf dem Schiff die Wohnung eingerichtet, wovon sie
allerdings nicht allzu viel hatten, da ihnen kurz nach dem
Verlassen des irdischen Orbits die Anabiose nahegelegt wurde.
Sie zeigten sich verwundert, als Robina ihnen mitteilte, dass
die Atmosphäre des Wankelsterns, des Ziel ihrer Reise,
wahrscheinlich auch auf Dauer für Menschen verträglich sei.
Robina ihrerseits staunte darüber, dass die Anderen zunächst
die Erde und nun diesen Planeten als für sich geeignet ansahen,
wo doch beide ähnliche Gashüllen haben.
Oman lächelte bei der Antwort: „Sie leben jeder für sich in
einem autonomen System. In welchem, wissen wir noch nicht.
Sie haben sich wohl seit Jahrtausenden ihrem ehemaligen,
sterbenden Planeten angepasst. Ich denke, jene, die das Sagen
haben, sind nicht so zahlreich. Und für sich, abgekapselt, leben
sie bestimmt ohne Schutzhülle in einer Atmosphäre.“ Oman
zuckte zum Zeichen, dass er lediglich vermutete, mit den
Schultern. „Vom so genannten Fußvolk dieser Spezies habe
ich dir berichtet. Von denen lebt jeder ausnahmslos in seiner
organischen kugeligen Hülle. Das Schiff hat – mit Ausnahme
des Wohntrakts natürlich
– zum Druckausgleich eine
Schutzgasatmosphäre. Wir glauben, Helium.“
Und endlich kam Robina zur ihrer, ihr auf der Seele
brennenden Frage: „Wie sah’s aus auf der Erde, als ihr
aufbracht?“
„Ja, wie…“ Astrid wiegte den Kopf. „Die fortgeschrittene
Globalisierung hast du ja wohl noch kennen gelernt. Die
paneuropäische Politik: Hilfe für die Schwachen und des
Ausgleichs sozialer Unterschiede hat sich gegenüber dem
überseeischen Hegemoniestreben, dem Abhängigmachen und
der
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