Robur der Sieger
überhaupt wiedergibt.«
»In diesem Fall müssen wir alles wagen, um die ›Alba-
tros‹ zu verlassen.«
»Ein wundervoller Apparat, das muß man wohl zugeste-
hen!«
»Das ist wohl möglich«, rief Onkel Prudent, »aber es ist
der Apparat eines Schurken, der uns gegen alles Recht und
Gesetz hier zurückhält. Übrigens bildet dieser Apparat für
uns und die Unsrigen eine unausgesetzte Gefahr. Gelingt es
uns also nicht, ihn zu vernichten ...«
— 166 —
»Beginnen wir damit, uns zu retten!« antwortete Phil
Evans, »wir werden ja später sehen.«
»Zugegeben«, antwortete Onkel Prudent, »und benützen
wir jede sich bietende Gelegenheit. Allem Anschein nach
fährt die ›Albatros‹ über den Kaspi-See, um sich dann im
Norden oder im Süden von Rußland nach Europa zu bege-
ben. Nun, wohin wir auch den Fuß setzen mögen, bis zum
Atlantischen Ozean hin wäre unsere Rettung gesichert. Wir
müssen uns also jede Stunde bereithalten.«
»Aber«, fragte Phil Evans, »wie sollten wir fliehen kön-
nen?«
»Hören Sie mich an«, antwortete Onkel Prudent. »Es
kommt zuweilen vor, daß die ›Albatros‹ während der Nacht
nur wenige hundert Fuß über dem Erdboden hinschwebt.
An Bord befinden sich verschiedene Kabel von dieser
Länge, und mit einiger Kühnheit könnte man sich wohl hi-
nabgleiten lassen ...«
»Ja«, stimmte Phil Evans bei, »gegebenenfalls würde ich
nicht zaudern ...«
»Ich auch nicht«, versicherte Onkel Prudent. »Ich füge
noch hinzu, daß während der Nacht außer dem Steuermann
auf dem Heck niemand wach ist. Eines jener Kabel liegt nun
gewöhnlich auf dem Verdeck, und ohne gesehen und gehört
zu werden, dürfte es möglich sein, es aufzurollen ...«
»Gut, gut«, unterbrach ihn Phil Evans, »ich sehe mit Ver-
gnügen, Onkel Prudent, daß Sie jetzt weit ruhiger sind; das
ist besser, wenn man handeln will. Augenblicklich freilich
befinden wir uns auf dem Kaspi-See; verschiedene Fahr-
— 167 —
zeuge sind in Sicht. Die ›Albatros‹ wird noch tiefer hinab-
gehen und während des Fischzugs anhalten ... Könnten wir
daraus keinen Vorteil ziehen?«
»Ah, man überwacht uns, selbst wenn wir nicht glauben,
überwacht zu sein«, antwortete Onkel Prudent. »Sie haben’s
ja gesehen, als wir versuchten, uns in den Hydaspis zu stür-
zen.«
»Und wer sagt, daß wir nicht auch in der Nacht beobach-
tet sind?« erwiderte Phil Evans.
»Einerlei, wir müssen ein Ende machen«, rief Onkel Pru-
dent, »ein Ende machen mit dieser ›Albatros‹ und ihrem
Besitzer!«
Man sieht, daß die beiden Kollegen – und besonders On-
kel Prudent – unter der Aufregung des Zorns leicht dazu
verführt werden konnten, die waghalsigsten und für ihre ei-
gene Sicherheit vielleicht gefährlichsten Handlungen zu be-
gehen.
Das Gefühl ihrer Ohnmacht, der verächtliche Spott, mit
dem Robur sie behandelte, die derben Antworten, die er ih-
nen erteilte, alles trug dazu bei, die Spannung ihrer Lage zu
erhöhen, deren Druck jeden Tag deutlicher hervortrat.
An jenem Tag hätte übrigens ein neuer Auftritt bald
einen höchst bedauerlichen Wortwechsel zwischen Ro-
bur und den beiden Kollegen herbeigeführt, und Frycol-
lin ahnte wohl kaum, daß er dazu die Veranlassung geben
sollte.
Als er sich einmal über diesem Meer ohne Grenzen sah,
bemächtigte sich des Hasenfußes wieder ein furchtbarer
— 168 —
Schrecken. Wie ein Kind – und wie ein Neger, der er ja war –
fing er an zu jammern, zu klagen und zu protestieren und
machte die tollsten Verrenkungen und Grimassen.
»Ich will fort! ... Ich will weg von hier!« rief er. »Ich bin
kein Vogel! ... Ich bin nicht geschaffen zum Fliegen! ...
Ich will, daß ich auf der Erde abgesetzt werde, und das so-
gleich!«
Selbstverständlich bemühte sich Onkel Prudent kei-
neswegs, ihn zu beruhigen, im Gegenteil. Das Heulen des
Schwarzen erregte denn auch die Ungeduld Roburs.
Da Tom Turner und die anderen sich eben zum Fisch-
fang anschickten, befahl der Ingenieur, um sich Frycollins
zu entledigen, diesen in sein Ruff einzusperren. Der Neger
setzte das vorige Unwesen fort, donnerte an die Wand und
heulte aus Leibeskräften.
Es war jetzt Mittag. Die ›Albatros‹ schwebte gerade nur
5 oder 6 Meter über der Oberfläche des Meeres. Einige bei
seiner Annäherung erschreckte Boote waren eiligst davon-
gefahren. Dieser Teil des Kaspi-Sees mußte also bald ganz
verlassen sein.
Man begreift leicht, daß die beiden
Weitere Kostenlose Bücher