Rocking Horse Road (German Edition)
Geschichte.« Am nächsten Morgen stand Bill Harbidge früh auf, zog seine Uniform an und meldete sich auf seiner Dienststelle zurück.
In der folgenden Woche lagen in allen Brief kästen an der Rocking Horse Road Anleitungen für den Bau von Molotowcocktails. Die weißen A4-Blätter steckten zwischen Werbezetteln der Supermärkte und Gutscheinheften. Die Zeitung berichtete, daß dieselben Blätter während der vergangenen Woche in mehreren anderen Vororten aufgetaucht waren. Die Polizei fahndete nach den Verantwortlichen. Wer einen sachdienlichen Hinweis geben konnte, wurde gebeten, sich bei der Polizei zu melden. Am Ende aber kam nichts dabei heraus.
Wir fanden es interessant, wie einfach es offenbar war, einen Molotowcocktail zu basteln. Zumindest der Anleitung nach zu urteilen. Man füllt eine Glasflasche mit Benzin und steckt einen zusammengerollten Stoffetzen oben rein. Man muß sichergehen, daß der Stoff bis ins Benzin reicht, bevor man ihn anzündet. Sonst entzündet sich das Benzin nicht, wenn man die Flasche wirft.
Niemand konnte sagen, ob die Anleitung von Tourgegnern vervielfältigt worden war, als Mittel, die Tour zu stoppen, oder von Befürwortern, die hofften, eine Flammenwand würde jeden auf halten, der die Spiele stören wollte.
Am Abend der Demonstration gegen die Tour fuhren wir mit unseren Fahrrädern zum Thompson Park, um uns das anzusehen. Auch wenn unsere Eltern verboten hatten, auch nur in die Nähe der Demo zu gehen, konnte uns das nicht aufhalten.
Es wurde dann doch nicht die große Show, die wir erwartet hatten. Eine Bühne, die nur aus ein paar Holzkisten bestand, war am Straßenrand aufgebaut worden, dort, wo die Straßenlaternen den Rand des Parks ausleuchten. Als wir ankamen, testete gerade eine junge Frau in einem langen violetten Kleid das Mikrophon. Es war schon nach 18 Uhr, und die Kundgebung sollte um 18:30 Uhr beginnen, aber es standen nur ein paar Dutzend Leute herum. Wir musterten sie aus dem Schutz des Kiefernwäldchens. Wie sah ein Kommunist nun aus? Oder, interessanter noch, eine Lesbe? Die meisten der Leute waren in ihren Zwanzigern, sie sahen aus wie Studenten. Jede Menge selbstgestrickte Pullover, aber sonst war alles ganz normal. Da es keine wirklichen Unterscheidungsmerkmale gab, stimmten wir überein, daß vermutlich sämtliche anwesenden Frauen lesbisch waren.
Trotz aller großmäuligen Reden war keines der Templeton-Mädchen erschienen. Doch Mrs. Montgomery sahen wir. Sie hatte das Plakat für die Kundgebung seit Wochen in ihrem Fenster hängen. Und es gab noch andere Bekannte. Zum Beispiel der alte Mr. Robinson, der damals mit seinem Seil an den Strand gelaufen kam, weil er glaubte, es müsse ein Wal gerettet werden. Warum er wohl hier war? Es war eine Überraschung, ihm mal anders als in Badehose mit einem Handtuch um die Schultern zu begegnen. Wir sahen noch eine Anzahl älterer Schwestern von Jungen, die wir kannten, Mädchen, die nach der Schule eine Ausbildung zur Lehrerin oder Krankenschwester angefangen hatten. Auch ein Lehrer unserer Schule war da, Mr. Jenson. Er unterrichtete erst seit zwei Jahren, und uns fiel auf, daß er nicht viel älter als die ältesten Schüler sein konnte. Doch jung oder nicht: Wir waren jedenfalls ziemlich überrascht, einen unserer Lehrer bei einem so ungeselligen Beisammensein zu sehen.
Gegen 18:40 Uhr war die Menge auf etwa 50 Personen angewachsen. Die Frau in Violett stand auf den Kisten und begrüßte alle. Sie trug ihr langes schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und hatte das schmale Gesicht einer Elfe. Sie schaute ständig in den Park, als erwartete sie, daß von dort jeden Moment eine ganze Herde Menschen durchs Gebüsch bräche. Aber es kam niemand mehr, und schließlich kündigte sie den Hauptredner an, den Leiter von »Halt All Racist Tours« auf der Südinsel. Der Mann von HART war offenbar in Südafrika gewesen und hatte sich dort unter erheblichem persönlichem Risiko mit Führern der Anti-Apartheid-Bewegung getroffen. Wir erwarteten also einen eher bulligen Typen, aber als er auf die Bühne kam, erwies er sich als klein und wirkte fast zerbrechlich. Er sprach mit einer angenehmen Stimme, stand jedoch zu weit vom Mikrophon entfernt. Das dürftige Publikum schob sich nach vorn, und die Leute wandten den Kopf zur Seite, um besser zu hören, wie Spatzen, die sich um eine Handvoll Brosamen scharen.
Hinten bei den vom Ostwind gepeitschten Bäumen konnten wir nicht verstehen, was gesprochen wurde.
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