Römischer Lorbeer
zur Anbetung Kybeles inspiriert
hatte.«
»Woher
weißt du das alles?« fragte ich.
»Gordianus, du
scheinst kein frommer Mann zu sein. Weißt du nicht, daß
ich Mitglied im Priester-Kollegium bin? Ich genieße das
Privileg, die sibyllinischen Bücher einsehen zu dürfen.
Ich sitze in dem Komitee, das für die Galloi und den Kult der
Großen Mutter zuständig ist. Was schon deswegen
angemessen ist, weil die Verbindung meiner Familie zu Kybele bis zu
ihrer Ankunft in Rom zurückreicht.«
»Du meinst die
Geschichte von Claudia Quinta«, sagte ich.
»Du kennst
sie?«
»Nur vage, und
ich habe sie noch nie von einem Nachfahren der berühmten Frau
erzählt bekommen.«
Clodius lächelte.
»Das Schiff mit dem vom Himmel gefallenen Felsen und der
Kybele-Statue erreichte die Mündung des Tibers und segelte,
begleitet von großen Menschenmengen an beiden Ufern, weiter
nach Rom. Doch als das Schiff anlegte, um seine göttliche
Fracht zu entladen, schlug es leck und begann zu sinken. Die
Würdenträger an Land gerieten in Panik. Man stelle sich
das nur vor: Eine Gruppe von Politikern bei einem
Außentermin, um die Massen zu beeindrucken, sah sich
plötzlich einem katastrophalen Omen gegenüber - die
Mutter-Göttin, die geschickt worden war, um Rom vor Hannibal
zu retten, drohte im Tiber zu versinken! Noch ein wenig
honiggesüßten Wein?«
»Für mich
nicht, danke.«
»Ein kleines
Schlückchen.« Er machte einem der Sklaven ein Zeichen,
meinen Becher erneut zu füllen. »Jedenfalls war es meine
Ahnin Claudia Quinta, die die Katastrophe verhindert hat. Nur die
reinsten Jungfrauen und vornehmsten Gattinnen durften die
Große Mutter in Rom begrüßen, und es hatte wegen
der Teilnahme von Claudia Quinta offenbar Gemurre gegeben.
Irgendwas von wegen lockerer Moralvorstellungen und schlechter,
verdorbener Gesellschaft - klingt das nicht irgendwie vertraut?
Doch an jenem Tag wurde sie rehabilitiert. Sie trat vor, ergriff
das Anlegetau, und das Schiff begann wundersamerweise wieder
aufzusteigen. So zeigte Kybele ihre göttliche
Wertschätzung für Claudia Quinta. Die Frommen sagen,
daß damit ihre Reinheit bewiesen war. Wenn man sich die Szene
bildhaft vorstellt - eine Frau packt ein dickes Seil, und das
riesige Boot taucht wie ein gefüllter Weinschlauch wieder aus
den Fluten auf -, nun, Claudia Quinta muß erstaunlich
fachmännisch angepackt haben.
Der schlammbespritzte
Meteorit und die Statue wurden endaden und gesäubert - das
rituelle Bad der Statue ist noch immer Teil der alljährlichen
Feiern. Der Tempel der Kybele wurde hier auf dem Palatin errichtet
und mit einer feierlichen Zeremonie eingeweiht, an der Claudia
Quinta als Ehrengast teilnahm. Und genau wie das Orakel versprochen
hatte, wurde Hannibal aus Italien vertrieben. Dafür
müssen wir heute, etliche Generationen später, in Clodias
Garten den Gesang der Galloi ertragen!
Was sie wohl gedacht
haben, unsere gesetzten und strengen Vorfahren, als sie erstmals
der phrygischen Priester mit ihren exotischen Kostümen, dem
Schmuck, dem langen, gefärbten Haar und den hohen, lispelnden
Stimmen ansichtig wurden? Oder als sie sahen, wie sie Kybele mit
wilden ekstatischen Tänzen und geheimen nächtlichen
Ritualen huldigten? Oder als sie erfuhren, daß der Begleiter
der Großen Mutter ein schöner, kastrierter Knabe namens
Attis war? Nicht der Begleiter, der einer Frau viel Freude bereiten
kann, würde ich denken. Vielleicht zieht Kybele eine Frau mit
erfahrener Hand vor, wie Claudia Quinta. Mir persönlich ist
Venus lieber. Daran, was Venus von Adonis will, gibt es nichts zu
deuteln, oder?« Er blickte an der aufragenden Statue hoch.
»Als sie eine Ahnung davon bekommen hatten, wie der Kult der
Großen Mutter wirklich war, muß unseren Vorfahren mit
ihrem steifen Gebaren recht unbehaglich zumute gewesen
sein.
Andererseits hat Rom
die Gabe, alles zu verdauen, was ihm vorgesetzt wird, und es dann
als etwas originär Römisches hinzustellen - Kunst, Sitten
und Gebräuche, sogar Götter und Göttinnen. Das ist
das römische Genie, die Welt zu erobern und zur eigenen
Bequemlichkeit zu adaptieren. Der Kybele-Kult wurde einfach
für den öffentlichen Gebrauch gereinigt. Der Feiertag der
Großen Mutter ist jetzt wie jeder andere Feiertag auch, mit
Theatervorstellungen, Wagenrennen und Tierkämpfen im Circus
Maximus. Nichts von den unergründlichen Ritualen, die die
Anhänger der Kybele im Orient praktizieren - ekstatische
Verehrer, die Straßenaufstände provozieren,
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