Roemisches Roulette
Version hört.”
Die Version, die ich der Polizei erzählen sollte, dachte ich.
“Aber ausschlaggebend war”, fuhr Nick fort, “dass sie gute Verbindungen hat. Ich wusste, dass sie uns den besten Anwalt der Stadt besorgen würde. Wenn auch nur aus dem Grund, dass sie jetzt jedem die Geschichte von meinem Anruf erzählen kann.”
So viele Geschichten, dachte ich.
Nick neigte leicht den Kopf zur Seite. “Weiß jemand von dem Geld, das du Kit gegeben hast?”
Ich schlug die Augen nieder. “Nein.”
“Gut so. Wir dürfen niemandem davon erzählen. Es würde keinen guten Eindruck machen.”
“Wie meinst du das?”
“Es würde dir ein Mordmotiv geben.”
Aber ich habe es nicht getan! Du …
Doch ich war zu durcheinander. Das war doch alles nicht real.
Nick stützte den Kopf in die Hände und seufzte tief. Ich hatte ihn noch nie so erschöpft gesehen. Nicht einmal nach all den Nachtschichten während seiner Facharztausbildung.
“Es tut mir leid”, sagte ich wieder. In meinem Kopf begann eine Litanei von “wäre” und “hätte”: Wäre ich nur nicht nach Rom gefahren. Hätte ich doch Robertos Anruf nicht entgegengenommen. Hätte ich mich doch nur beherrscht.
“Es ist nicht deine Schuld”, tröstete Nick mich und hob dabei den Kopf.
“Aber…”
“Was auf dem Balkon passiert ist …” Er hielt abrupt inne. Wir sahen einander an, und ich wusste, dass wir es in dem Moment beide noch einmal durchlebten. Kits verletzende Worte, Nicks Hände um ihren Hals. Doch der exakte Ablauf verschwamm immer mehr. Das Einzige, woran ich mich deutlich erinnerte, war die Geschichte, die ich die halbe Nacht wiederholt hatte.
“Es ist nicht deine Schuld”, wiederholte Nick, “sondern ihre. Kit ist Schuld.”
Ich nickte unsicher. Seine Worte kamen mir falsch vor. Oder lag es nur an den verwirrenden, den furchtbaren Ereignissen des Abends?
“Hör auf, es dir vorzuwerfen, ja?”
Ich nickte.
Er lächelte mich todtraurig an und nahm mich ein weiteres Mal fest in die Arme.
Minuten später zog ich meinen Pullover aus und wusch mir wie jeden Abend das Gesicht. Doch dieser Abend war nicht wie jeder Abend, und ich wusste, ich würde nicht schlafen können. Ich dachte daran, wie ich stets geahnt hatte, dass die Zukunft eine Tragödie für mich bereithielt. Anscheinend blieb nur sehr wenigen Menschen ein schlimmes Schicksal in ihrem Leben gänzlich erspart. Ich hatte bisher nur in der Schlange gestanden und auf meins gewartet. Nicks Seitensprung hat mich zweifellos aus der Bahn geworfen, doch tragisch war er nicht gewesen. Die Tragödie fand hier und jetzt statt.
Und mich erfüllte die unerklärliche Gewissheit, dass es noch schlimmer kommen würde.
14. KAPITEL
A m nächsten Morgen hörte ich, wie Nick duschte. Er hatte einen OP-Termin, der sich nicht verschieben ließ. Als er nach der richtigen Krawatte suchte, hörte ich ihn seufzen. Ich hätte aufstehen und ihn in den Arm nehmen können. Ich hätte ihm einen Kaffee machen können. Doch dann hätten wir reden müssen, und was hätten wir schon sagen sollen? Das übliche, belanglose Geplauder wäre unangebracht gewesen:
Liebling, was hältst du davon, wenn wir über dem Esstisch eine neue Lampe anbringen? Vielleicht sollten wir dieses Jahr mal wieder meine Mutter in Florida besuchen.
Das alles beherrschende Thema war Kit.
Ich hörte, wie die Wohnungstür auf- und zuging. Nick war gegangen. Dann nahm ich das gedämpfte
Bing
des Fahrstuhls war. Ich wusste, ich sollte aufstehen. Doch was konnte man von einer Frau schon erwarten, deren ehemals beste Freundin erst vor wenigen Stunden von ihrem Balkon in den Tod gestürzt war?
Ich griff nach dem Telefon und wählte die Nummer von Kits Mom. Keine Antwort. Schon wieder. Ich hatte es bereits am Vorabend zweimal versucht. Nun hinterließ ich die dritte Nachricht.
Piep, piep, piep
machte die Alarmanlage, als sich die Wohnungstür wieder öffnete. “Nick?”, rief ich, plötzlich von einer irrationalen Angst erfüllt. Wer sollte es sonst sein? Und wovor hatte ich eigentlich Angst? Kit war tot.
Nick kam mit einer Zeitung in der Hand ins Schlafzimmer. Sein Gesicht war kreidebleich, als hätte er zu lange in der Kälte gestanden. Wortlos warf er die Zeitung aufs Bett. Sie landete zu meinen Füßen. Ohne mich zu bewegen, konnte ich die Schlagzeile auf der unteren Hälfte des Titelblatts deutlich erkennen: Hochhaus-Drama:
Frau stürzt in den Tod.
Ich blickte auf und sah in Nicks Augen. Er schüttelte den Kopf, als wollte
Weitere Kostenlose Bücher