Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
Vernunft mir sagte, dass ich nicht gut für ihn bin. Als er dann besiegt unter mir lag, war es wie ein Zwang, ich musste ihn einfach binden!“
Inanis Augen bettelten um Verständnis und Vergebung. Kythara seufzte schwer. Junge Liebe! Was konnte dramatischer sein? Wenn sie richtig verstanden hatte, wollte dieses wahnsinnige Kind sich der Sonnenpriesterschaft ausliefern, um sich ihren Liebsten zu holen.
„Ich kann nicht rückgängig machen, was du dir da aufgebürdet hast. Aber bitte, für uns ist es wichtig, was mit dir geschieht. Du bist nicht allein! Lass dir helfen!“
„Das kannst du nicht, Kythara. Du nicht, und Corin auch nicht. Wenn Maondny es könnte, wäre sie schon hier, und Thamar hat Wichtigeres zu tun. Es gibt niemanden, der mir helfen kann.“
„Wo du gerade von unserer mystischen Elfe sprichst ... Sie hat etwas zu mir gesagt. Ich soll dir ausrichten, dass Wölfe ihr Rudel nie ohne Not verlassen.“
Verwirrt blickte Inani zu ihr hoch.
„Wölfe? Meint sie Rynwolf?“
„Ich weiß es nicht, Inani. Mehr wollte sie nicht verraten.“
Seufzend drückte Kythara sie noch einmal an sich, dann stand sie auf. „Hör zu, heulen und klagen über verschüttete Milch nutzt nichts. Du wirst, wie ich dich kenne, den Weg des größten Widerstands gehen und sorglos mit Leib und Leben spielen, um dein Ziel zu erreichen. Das kann ich nicht verhindern. Doch versprich mir eins: Wenn du scheiterst, lass dich von uns befreien. Ich schwöre, ich werde persönlich dafür sorgen, dass du von deinem Leid erlöst wirst. Diesem Erzpriester gönne ich nicht noch eine Pya-Tochter!“
Zögernd nickte Inani, trocknete dabei ihre Tränen. Erst jetzt bemerkte Kythara, was für ein prächtiges Seidenkleid die junge Hexe trug. Der reich verzierte himmelblaue Stoff und der Schnitt, der alles betonte, was Männern gefiel, konnte nur einem Zweck dienen: Um jeden Preis auffallen.
„Wie ich sehe, willst du keine Zeit verlieren?“
„Warum sollte ich? Beobachten, taktieren, Verbündete suchen, das ist diesmal nicht mein Weg. Frontaler Angriff, schnell und unerbittlich“, erwiderte Inani, und ihre Augen blitzten nun wieder voll Vorfreude.
„Versprichst du es mir?“
„Ich schwöre es. Mehr noch, ich werde dir und Corin gestatten, mich zu überwachen. Beruhigt dich das? Greift nicht ein, aber bleibt in Pyas Namen in der Nähe.“
„So sei es.“ Kythara küsste sie flüchtig auf die Wange, dann rief sie den Nebel zu sich.
Verhindern konnte sie nichts, also musste sie bereit sein, um das Schlimmste zu verhindern, wenn es möglich war.
„Bei Sonnenuntergang wird es losgehen“, sagte Inani lächelnd.
„Wir werden da sein. Es geht doch nichts über ein dramatisches Blutbad, um die Sinne zu erfreuen“, murmelte Kythara, aber da war sie bereits zu weit in die Nebelwelt eingedrungen, als dass Inani diese Worte noch hätte hören können.
10.
„Einem Gegenstand Magie zu geben ist immer gefährlich. Es mag nützlich erscheinen, aber wer weiß schon mit Sicherheit, wer diesen Gegenstand an sich nehmen, was er damit tun wird?“
Zitat, Fin Marla zugeschrieben, Königin der Elfen von Anevy
Etwas war falsch, das spürte Jordre, noch bevor er wach geworden war. Ein intensives Gefühl von Gefahr ließ ihn schlagartig zu Bewusstsein kommen. Er befand sich nicht mehr in der Traumwelt! Pera lag schlafend neben ihm, ihr langes braunes Haar bedeckte ihr Gesicht wie ein Schleier. Einen Moment lang fesselte ihn dieser Anblick – er liebte es, wie Peras Haare je nach Licht mal die Farbe von Haselnüssen, mal einen kastanienbraunen Schimmer annahm. Auch ihre Haut war so schön, sie besaß einen solch hellen, marmorweißen Ton, den Jordre noch nie vorher gesehen hatte. Mit dieser wundervollen Frau war er verheiratet.
Sein Instinkt riss ihn aus seiner liebestrunkenen Versunkenheit – Pera sah einen Freund und Beschützer in ihm, keinen Ehemann. Viel wichtiger aber: Wo war Ledrea? Besorgt schaute sich Jordre um und erkannte plötzlich die Gefahr, die ihn geweckt hatte: Schlingpflanzen krochen über seine Füße, versuchten ihn so zu fesseln, dass er nicht mehr fliehen konnte. Fluchend riss er sich los.
„Pera!“ Er schüttelte sie grob, wissend, in nur wenigen Atemzügen würde das Chaos losbrechen. Ob Osmeges Wesen sie nun sehen konnten oder nicht, sobald die Pflanze ihr Wissen weitergab, dass sie die Gesuchten gespürt hatte, würde sich jede Chimäre in einer Meile Umkreis auf diesen Ort stürzen.
Verschlafen blinzelte Pera zu ihm auf.
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