Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
Kopfschüttelnd trat er einige Hindernisse aus dem Weg, bevor er Janiel zu Boden gleiten ließ. Schweigend arbeiteten sie zusammen, um den jungen Mann von dem nassen Stoff zu befreien, die Wunden und Abschürfungen zu reinigen und zu verbinden. Thamar wurde abwechselnd heiß und kalt, als er geschwollene Prellungen und schwarze Blutergüsse an Janiels Oberkörper fand, doch zum Glück hatte seine Raserei wohl keinen echten Schaden angerichtet, zumindest schien nichts gebrochen zu sein, und Inani hätte innere Blutungen längst festgestellt gehabt. Von irgendwoher in diesem Durcheinander schaffte Inani Männerkleidung heran, die zwar viel zu kurz für Janiel war, aber immerhin trocken und sauber. Gemeinsam legten sie ihn ins Bett und packten mehrere Lagen Wolldecken über ihn, bis er fast darunter verschwand. Von der geisterhaften Blässe und der Aura des Todes war nichts mehr zu sehen; er schien mittlerweile nur noch zu schlafen statt im Sterben zu liegen und ließ sich dabei durch nichts stören.
Dann hatten sie endlich Zeit, sich um sich selbst zu kümmern. Thamar schälte sich aus seinen eigenen durchweichten Kleidungsstücken und nahm aus Inanis Vorrat eine Wollhose an. Sie reichte ihm kaum bis zu den Knien, spannte hauteng um seine Hüften, würde allerdings reichen, bis seine Sachen getrocknet waren. Die Leinenhemden, die sie ihm anbot, waren leider ungeeignet, er hätte sie mit seinen breiten Schultern gesprengt. Da inzwischen ein helles Feuer im Kamin loderte, war es trotzdem warm genug.
„So was ist nützlich, es gibt Orte, an die man nicht als Frau gehen darf“, erklärte Inani ungefragt, ließ die Hemden einfach fallen und zwinkerte ihm mit einer Art verzweifelten Heiterkeit zu.
„Was ist los mit dir?“, fragte er unbeeindruckt.
Sie starrte stumm zu Boden.
„Du zuerst“, murmelte sie. „Erzähl mir, was mit ihm geschehen ist und warum Maondny sich eben bei mir entschuldigt hat, ohne zu erklären, für was genau. Danach beantworte ich dir jede Frage.“ Flehend blickte zu ihm auf, sah dabei so verloren aus, wie er sie überhaupt noch nie erlebt hatte. Inani, die stolze Hexe, die unbesiegbare Kriegerin, die wilde Raubkatze, wo war sie hin? Vor Thamar stand eine in Tränen aufgelöste junge Frau, offensichtlich am Ende ihrer Kräfte.
„Einverstanden“, erwiderte er. „Aber nur unter einer Bedingung: Du wirst nichts tun, sagen oder mich unterbrechen, bis ich fertig bin.“
„Höre ich da Schuld in deiner Stimme?“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Würde ich dich sonst um so etwas bitten?“
Müde ließ Thamar sich neben dem Kamin zu Boden sinken. Während er erzählte, was geschehen war, was Janiel und Maondny zu ihm gesagt hatten, lief Inani wie ein gefangenes Tier durch den Raum, auf und ab, in immer gleichen Kreisen. Manchmal bückte sie sich zwischendurch, hob einen einzelnen Gegenstand auf und stellte ihn irgendwo ab, ohne erkennbare Ordnung. Als er zu dem Punkt kam, an dem er Janiel beinahe totgeschlagen hätte, warf sie eine Keramikschale nach ihm. Thamar wich dem Geschoss mühelos aus, es zerschellte an der Wand, dort, wo ein Herzschlag zuvor sein Kopf gewesen war. Sie grollte leise, funkelte ihn aus bernsteinfarbenen Raubtieraugen an, doch regte sich ansonsten nicht, während er ungerührt weitersprach. Sie hatte schon aus geringeren Gründen härtere Geschütze gegen ihn aufgefahren. Bewusst ließ er aus, was Janiel über seine Liebe zu ihr gesagt hatte – es war offensichtlich, dass dies zumindest teilweise der Grund für Inanis Zustand sein musste. Dieses Thema wollte er getrennt klären, sonst würden sie heute Nacht zu keinem Ziel mehr finden.
„Ilat und Rynwolf planen also einen großen Krieg? Aber gegen wen genau? Unabhängigkeit der Provinzen, was meinte er damit?“, fragte sie, als Thamar endete.
„Denk nach, Inani. Ich kann mir nur einen einzigen Reim darauf machen, und es wäre mir sehr lieb, wenn ich mich irre.“
„Hm. Alle Provinzen sind von Roen Orm abhängig. Sie zahlen Steuern, müssen im Kriegsfall Sonderabgaben leisten, Soldaten stellen, und brauchen für viele Belange die Erlaubnis des
Kronrates, um Gesetze zu ändern oder neu einzuführen“, sagte sie stirnrunzelnd. „Abgesehen davon besitzen sie natürlich eine eigenständige Provinzführung und verwalten ihre Gebiete weitestgehend allein. Also das Eintreiben der Steuern, Rechtssprechung, alles, was vor Ort geschehen kann, wird auch so gehandhabt. Das wird Ilat nicht ernstlich ändern wollen, Enra
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