Röslein rot
zu tun?
Reinhard hatte tatsächlich einen Kranz besorgt, der ganz seinem Geiz und schlechten Geschmack entsprach. Als er sich für die Beerdigung umzog, während sich Lara ihrer Latzhosen entledigte und in einen ungeliebten grauen Trägerrock schlüpfte, entschloß ich mich, doch teilzunehmen. Mit heuchlerischen Worten, es Silvia nicht antun zu können, daß ausgerechnet ich fehle, hüllte ich mich in einen meiner unscheinbarsten Säcke. Ich wollte beobachten und selbst nicht zur Kenntnis genommen werden.
Die schlechte Laune meines Mannes entlud sich an seiner fröhlich hüpfenden Tochter. Im allgemeinen pflegte er nur den armen Jost mit schwäbischen Kosenamen wie »Seckel« oder »Schafseckel« anzureden, nun war Lara plötzlich ein »Henneseckel«. Sie zeigte sich aber nicht beleidigt, weil sie schon ganz gespannt auf die Beerdigung war.
Es lohnte sich nicht, das kurze Stück zum Friedhof zu fahren, also machten wir uns zu Fuß auf den Weg. Reinhard hatte den häßlichen Kranz über die Schulter gehängt und lief mit großen Schritten vor uns her, Lara hatte sich bei mir eingehakt und plapperte unentwegt.
Wir trugen uns in ein Kondolenzbuch ein und betraten eine kleine Kapelle, wo die Trauerfeier stattfand. Silvia saß mit den Töchtern und einem großen Verwandtschaftsaufgebot in der ersten Reihe. Als wir uns hinsetzten, drehte sie sich unwillkürlich um. Der sekundenschnelle Blick, den sie mit Reinhard tauschte, sollte völlig bedeutungslos wirken, aber ich las darin eine komplizierte Botschaft.
Es wurden die üblichen verlogenen Reden gehalten, von denen ich kein einziges Wort behalten habe. Schließlich versammelte man sich am Grab. Unter den vielen Trauergästen entdeckte ich Imke. Unauffällig stand sie im Hintergrund und verhielt sich nicht anders als ich: Sie beobachtete Silvia.
Lara merkte bald, daß es nichts Langweiligeres als eine Beerdigung gibt; eine gewisse Befangenheit hielt sie davon ab, mit Korinna und Nora zu tuscheln, die ihr plötzlich sehr fremd und erwachsen vorkamen. »Mama«, flüsterte sie mir zu, »wenn es vorbei ist, komme ich nicht mit zum Totenschmaus!«
»Wo hast du denn dieses Wort aufgeschnappt?« fragte ich. »Im übrigen sind wir gar nicht eingeladen. Das Essen ist für die Verwandten, die von außerhalb angereist sind, die sollen nicht mit knurrendem Magen heimfahren.«
Wir ordneten uns in die lange Reihe der Kondolierenden ein, die an der Witwe vorbeidefilierten. Wieder sah ich, daß Silvia Reinhard ganz besonders anschaute. Sie reichte mir eine eiskalte Hand und blickte dabei so feindselig an mir vorbei, daß ich Zahnweh bekam.
Vergißmeinnicht
Nach der Beerdigung begleitete Reinhard Lara und mich heim, stieg aber, ohne hereinzukommen, gleich ins Auto, weil er noch ins Büro wollte. Lara beschloß, mit ihm zu fahren und sich bei Susi absetzen zu lassen. Jost war bereits zu einem Freund geradelt.
Eigentlich hatte ich Zeit zum Malen, aber stand mir der Sinn danach? Ich kramte die Skizze heraus, die ich nachträglich von Udos Nachttisch angefertigt hatte. Dieses Stilleben sah tatsächlich wie ein Sammelsurium aus der Apotheke aus, aber es handelte sich ausschließlich um Tropfen, Salben, Sprays - keine einzige Pillenpackung war dabei, falls ich mich richtig erinnert hatte. Udo gehörte offenbar zu jenem kleinen Personenkreis, der keine Tabletten schlucken kann oder sich das zumindest einbildet.
Wie ein Detektiv war ich der Wahrheit auf die Spur gekommen, aber was sollte ich mit meinen Erkenntnissen anfangen? Und welche Rolle spielte Reinhard?
Ein Anruf von Ellen riß mich aus meinen Gedanken. Sie schien zu ahnen, daß es mir nicht gutging. »Ich habe dein Ischia-Bild rahmen lassen«, sagte sie, »es hängt über meiner Anrichte und sieht bezaubernd aus. Meine älteste und beste Freundin Waltrud hat es sich angeschaut und ist begeistert.
Und nun kommt die gute Nachricht: Ich erteile dir deinen ersten Auftrag.«
Im Moment interessierte ich mich kaum dafür. Aber Ellens Angebot hörte sich verlockend an. Ich sollte aus ganz bestimmten Gegenständen ein »Persönlichkeits-Stilleben« für Waltruds fünfundsechzigsten Geburtstag komponieren und eine kolorierte Federzeichnung anfertigen.
»Was für Gegenstände?« fragte ich matt.
Meine Schwester wünschte sieht nostalgische Dinge, die einen Bezug zu ihrer Besitzerin hatten, einen Jugendstilrahmen mit dem Foto von Waltruds Mutter, ein getrocknetes Vergißmeinnicht, eine Standuhr, einen grüngemusterten Schal, auch
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