Röslein rot
aber dazu kam, über unendliche Müdigkeit und merkwürdige Zustände zu klagen, läutete die Klingel.
Obwohl es meistens irgendwelche Kinder waren, sprang Reinhard auf und ging an die Tür. Ich vernahm Birgits Stimme: »Ich bin auf gut Glück hergefahren, weil ich dich im Büro nicht mehr angetroffen habe. Hoffentlich habe ich alles zu deiner Zufriedenheit getippt, die Rechnung liegt bei.«
»Komm doch rein«, sagte Reinhard. »Ich kann dich allerdings nur in die Küche bitten, Anne hat sich im Wohnzimmer aufs Sofa gelegt, sie hat Herzbeschwerden.«
Das war ja interessant, dachte ich, denn darüber hatte ich kein Wort verloren.
Abgesehen von allen anderen Problemen wollte mir Imkes traurige Erscheinung vor unserem Haus nicht aus dem Sinn. »Wie bestellt und nicht abgeholt«, hätte meine Mutter gesagt. Demnach war sie keineswegs geheilt und weiterhin auf der Jagd nach wahnhafter Liebe, obgleich ich sie für ein Mäuschen par excellence und nicht für eine wildernde Katze hielt. Aber war ich nicht selbst genauso verblendet? Hatte ich nicht jahrelang geglaubt, in einer halbwegs intakten Ehe zu leben?
Ich horchte erneut, um mir nichts von der Küchenkonversation entgehen zu lassen. »Wie schrecklich, daß Silvias Mann gestorben ist«, lamentierte Birgit. »Nach jener Einladung bei Lucie habe ich ihn zwar nie mehr gesehen, aber in guter Erinnerung behalten.«
»Sicher hast du auch gehört«, erzählte Reinhard, »daß ausgerechnet Anne und ich ihn gefunden haben. - Sehen wir uns morgen auf der Beerdigung?«
Nie im Leben würde sie einen Friedhof betreten, sagte Birgit, ein solcher Ort mache depressiv. Aber sie habe Silvia bereits ihr Beileid ausgesprochen. »Obwohl sie wahrscheinlich nicht gar so traurig ist, wie es eine andere in ihrem Fall wäre«, schloß sie geheimnisvoll.
Diese Worte verursachten mir nun wirklich Herzbeschwerden. Sowohl Lucie als auch Reinhard waren von Silvia über ein angebliches Verhältnis von Udo und mir informiert worden. Hatte sie am Ende auch Birgit, die sie nur flüchtig kannte, mit derartigen Lügen eingedeckt?
Morgen würde der Teufel los sein: Gerd wollte mich über das Ergebnis der Analyse benachrichtigen, und ich mußte an Udos Grab stehen, um mich als seine letzte Liebschaft begaffen zu lassen. Wahrscheinlich hatte Silvia die halbe Stadt davon in Kenntnis gesetzt. Es war wohl in der Tat das beste, den nächsten Tag im Bett zu verbringen.
Als Birgit gegangen war, fragte Lara ihren Vater: »Darf ich zu Udos Beerdigung?«
»Ein Begräbnis ist nicht dafür gedacht, kindliche Neugier zu befriedigen«, sagte Reinhard streng und weckte dadurch meinen Widerspruch.
»Warum soll sie nicht mitkommen?« mischte ich mich ein, meine schwere Krankheit vergessend. »Erstens ist Lara schon ein großes Mädchen, zweitens kann sie Korinna und Nora zur Seite stehen. Und drittens könnte sie mich vertreten. Übrigens, Reinhard, hast du einen Kranz bestellt?«
Er sah mich verblüfft an.
Wie alle Frauen hatte auch die zehnjährige Lara nur eins im Sinn: Was zieht man an? Korinna und Nora seien immer so schick.
»Immer fein ist nimmer fein«, wiederholte Reinhard einen Spruch seiner Mutter, dann setzte er sich vor den Fernseher. Ich legte mich leidend ins Bett.
Am nächsten Tag erreichte mich gegen elf Uhr ein Anruf. Zum Glück waren die Kinder im Garten, Reinhard im Büro. Mit einem gewissen Stolz kam Gerd Triebhaber sofort zur Sache. »Deine Befürchtungen waren nicht unbegründet. Im Grapefruitsaft fand sich eine hohe Konzentration eines Digitalis-Präparats. Die natürliche Bitterkeit der Pampelmusen überdeckt recht raffiniert den Geschmack des Medikaments. Wahrscheinlich wurde es in flüssiger Form dem Saft beigegeben.«
»Wer nimmt solche Medikamente?« fragte ich.
Gerd belehrte mich, daß Digitalis bei diversen Herzkrankheiten, und zwar im allgemeinen in Tablettenform, verordnet werde, aber auch als Tropfen erhältlich sei. »Es gibt immer wieder Patienten, die meinen, keine Pillen schlucken zu können.«
Ich weiß nicht mehr, was er sonst noch alles redete. Auf jeden Fall empfahl er mir, die Polizei einzuschalten. Das war aber ein Punkt, über den ich erst einmal nachdenken mußte.
Vage erinnerte ich mich, daß der Hausarzt zwar etwas von Obduktion gemurmelt hatte, aber diese Entscheidung der Witwe überlassen wollte. Ich konnte mir ausrechnen, daß Silvia auf keinen Fall die Totenruhe des Verstorbenen durch einen Pathologen gestört wissen wollte. Aber was hatte Reinhard damit
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