Rom - Band II
Völker machen muß. Auch das geht nicht ohne irgend einen niedrigeren Ehrgeiz ab; vielleicht möchte er zum Beispiel den Titel eines Kanonikus erobern, oder sich bei den kleinen Unannehmlichkeiten des Lebens helfen lassen, wie an dem Tage, als er seinen Bruder aus der Verlegenheit ziehen mußte. Man setzt seine Hoffnung auf einen Kardinal, wie man auf einen Terno in die Lotterie setzt: wenn der Kardinal als Papst hervorgeht, gewinnt man ein Vermögen ... Darum sehen Sie ihn da drüben mit so langen Schritten einhermarschiren: er hat Eile, zu erfahren, ob Leo XIII. sterben und sein Terno mit Sanguinetti in der Tiara herauskommen wird.«
»Glauben Sie also, daß der Papst in diesem Maße krank ist?« fragte Pierre, von Interesse und Unruhe ergriffen.
Der Graf lächelte und hob beide Arme in die Höhe.
»Ah, wer weiß das? Sie sind alle krank, sobald sie ein Interesse daran haben, es zu sein. Aber ich glaube, er ist wirklich unwohl; es soll eine Gedärmstörung sein, und bei seinem Alter kann das geringste Unwohlsein verhängnisvoll werden.«
Sie legten ein paar Schritte schweigend zurück; dann stellte der Priester abermals eine Frage.
»Dann hätte also der Kardinal Sanguinetti, wenn der heilige Stuhl frei würde, große Aussichten?«
»Große Aussichten! Große Aussichten! Das ist wieder eines der Dinge, die niemand weiß. Wahr ist, daß man ihn unter die möglichen Kandidaten einreiht, und wenn der Wunsch, Papst zu werden, genügen würde, so wäre Sanguinetti sicherlich der künftige Papst, denn er setzt eine außerordentliche Leidenschaft, ein ungestümes Verlangen darein. Dieser höchste Ehrgeiz verzehrt ihn bis auf die Knochen. Das ist sogar seine Schwäche; er nützt sich ab und weiß das. Er muß daher für die letzten Tage des Kampfes zu allem entschlossen sein. Seien Sie überzeugt, wenn er sich in diesem kritischen Augenblick hier eingeschlossen hat, so geschah es, um seine Schlacht aus der Ferne besser zu leiten, während er ein höchst wirkungsvolles Verlangen nach Zurückgezogenheit, nach Abgeschiedenheit erkünstelt.«
Und er verbreitete sich wohlgefällig über Sanguinetti, dessen Ränkesucht, grimmige Eroberungsgelüste und übermäßige, sogar etwas unruhstiftende Thätigkeit er liebte. Er hatte ihn nach seiner Rückkehr von der Wiener Nuntiatur kennen gelernt. Er war in Geschäften sehr bewandert und damals schon entschlossen, die Hand an die Tiara zu legen. Dieser Ehrgeiz erklärte alles – seine Zerwürfnisse und seine Aussöhnungen mit dem regierenden Papst, seine Zärtlichkeit für Deutschland, der eine plötzliche Schwenkung gegen Frankreich folgte, seine wechselnde Haltung gegen Italien. Zuerst äußerte er den Wunsch nach einer Verständigung, dann zeigte er eine unbedingte Intransigenz; keinerlei Zugeständnisse dürften gemacht werden, so lange Rom nicht geräumt sei. Daran schien er fortan festzuhalten; er stellte sich, als bedaure er die schwankende Regierung Leos XIII., als schenke er seine glühende Bewunderung Pius IX., dem großen, heldischen, widerstandskräftigen Papst, dessen gutes Herz unerschütterliche Festigkeit nicht ausschloß. Das sollte heißen, daß er in der Kirche, für die die gefährliche Willfährigkeit der Politik nicht gehörte, die Gutmütigkeit ohne Schwäche herstellen würde. Dennoch träumte er im Grunde von nichts als von Politik und mußte wohl zu einem ganzen Programm gelangt sein; er hielt es absichtlich dunkel, aber es wurde von seinen Schützlingen, seinen Kreaturen mit verzückt geheimnisvoller Miene verbreitet. Seit einem Unwohlsein des Papstes, das sich bereits vom Frühling herschrieb, lebte er in tödlicher Unruhe; denn das Gerücht lief um, daß die Jesuiten, obwohl der Kardinal Boccanera sie gar nicht liebte, sich darin ergeben würden, ihn zu unterstützen. Zweifellos war der letztere rauh, von übertriebener Frömmigkeit, die in diesem Jahrhundert der Duldung gefährlich war – aber gehörte er nicht zum Patriciat, würde seine Wahl nicht bedeuten, daß das Papsttum nie auf die weltliche Herrschaft verzichtete? Von da an war Boccanera in den Augen Sanguinettis der Gefürchtete geworden; er lebte gar nicht mehr, sah sich schon beraubt und brachte seine Stunden damit zu, Kombinationen zu suchen, um sich dieses allmächtigen Nebenbuhlers zu entledigen. Er sparte nicht mit den abscheulichen Geschichten von seiner Willfährigkeit gegen Benedetta und Dario und hörte nicht auf, ihn als den Antichrist darzustellen, dessen Regierung die
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