Rom - Band II
seine Hände wurden fortwährend von einem leichten Zittern bewegt. Ein langes Schweigen entstand. Dann meinte Don Vigilio, daß er noch eine Idee habe; er war ein wenig mit dem Beichtvater des Papstes, einem Franziskanerpater von großer Einfachheit bekannt und konnte ihn an diesen empfehlen. Vielleicht könnte ihm dieser Pater trotz seiner Eingezogenheit nützlich sein. Es kostete ja nur einen Versuch. Wieder trat Schweigen ein und Pierre, dessen gedankenleerer Blick auf die Wand gerichtet war, unterschied zuletzt das alte Bild, das ihn am Tage seiner Ankunft so tief gerührt hatte. Nach und nach sah er es in dem blaßen Licht der Lampe deutlicher hervortreten und lebendig werden, wie die leibhaftige Verkörperung seines Falles, seiner unnützen Verzweiflung vor der hart verschlossenen Thür der Wahrheit und Gerechtigkeit. Ach, wie ähnelte ihm diese Verstoßene, diese beharrlich Liebende, deren Gesicht nicht zu sehen war, die, in ihr Haar hineinschluchzend, vor Schmerz auf den Stufen dieses Palastes, vor der erbarmungslos geschlossenen Thür niedergefallen war! In ein einfaches Linnen gehüllt, bebte sie vor Kälte; sie verriet nicht ihr Geheimnis, ihr Unglück oder ihre Schuld, den ungeheuren Schmerz der Verlassenheit. Aber er lieh ihr sein eigenes Antlitz hinter diesen auf ihr Gesicht gepreßten Händen; sie wurde seine Schwester wie alle die armen heimlosen, schutzlosen Geschöpfe, die weinen, weil sie nackt und allein sind, die ihre Fäuste bei dem Bemühen abnützen, den Weg über die böse Schwelle der Menschen zu erzwingen. Er vermochte sie nie anzusehen, ohne sie zu beklagen, und an diesem Abend bewegte es ihn so tief, sie immer als Unbekannte, Namenlose, ohne Antlitz und doch in den furchtbarsten Thränen gebadet, wiederzufinden, daß er plötzlich Don Vigilio fragte:
»Wissen Sie, von wem dieses alte Bild ist? Es bewegt mich bis in die Seele, wie ein Meisterwerk.«
Der Priester, von dieser unerwarteten, ohne jeden Uebergang erfolgenden Frage überrascht, hob den Kopf, sah hin und wunderte sich noch mehr, als er das geschwärzte, vernachlässigte Bild in seinem ärmlichen Rahmen betrachtet hatte.
»Wissen Sie, woher dieses Gemälde stammt? Wie kommt es, daß man es in dieses Zimmer verbannt hat?«
»O, es ist nichts!« sagte er mit einer gleichgiltigen Geberde. »Solche alte, wertlose Bilder gibt es hier überall. Dieses hat zweifellos immer hier gehangen. Ich weiß nicht; ich habe es nicht einmal gesehen.«
Zuletzt erhob er sich vorsichtig und diese einfache Bewegung verursachte ihm ein solches Schauern, daß er kaum Abschied zu nehmen vermochte. Seine Zähne schlugen vor Fieber auf einander.
»Nein, begleiten Sie mich nicht, lassen Sie die Lampe in diesem Zimmer. Und nm zu einem Schluß zu kommen: das Beste wäre es noch, wenn Sie sich Monsignore Nani in die Hände geben würden, denn dieser ist doch wenigstens ein hervorragender Mensch. Ich habe es Ihnen ja gleich bei Ihrer Ankunft gesagt, daß Sie zuletzt, ob Sie nun wollen oder nicht thun werden, was ihm beliebt. Wozu also kämpfen? ... Und kein Wort über unser heutiges Gespräch – es wäre mein Tod!«
Er klinkte die Thüren geräuschlos wieder auf, sah mißtrauisch nach rechts und links in das Dunkel des Korridors, dann wagte er sich hinaus und verschwand; er kehrte so leise in sein Zimmer zurück, daß man inmitten des Grabesschlummers des alten Palastes das Huschen seiner Füße nicht einmal hörte. Am nächsten Tage ließ sich Pierre, der vom Kampfbedürfnis wieder ergriffen worden war und alles versuchen wollte, von Don Vigilio an den Beichtvater des Papstes, jenen Franziskanerpater, empfehlen, mit dem der Sekretär ein wenig bekannt war. Aber er traf zufällig auf einen guten Mönch, den peinlich gewissenhaftesten aller Menschen, offenbar hatte man einen sehr bescheidenen und sehr einfachen, gänzlich einflußlosen Mann gewählt, damit er seine allmächtige Stellung beim heiligen Vater nicht mißbrauche. In dem Umstande, daß dieser nur den demütigsten Orden, den Freund der Armen, den heiligen Straßenbettler zum Beichtvater haben wollte, lag auch eine verstellte Demut. Dennoch stand dieser Pater im Rufe eines glaubensstarken Redners; der Papst selbst wohnte, der Regel gemäß von einem Schleier verborgen, seinen Predigten bei, denn, wenn er auch als unfehlbarer Oberpriester sich von keinem Priester belehren lassen durfte, so wurde doch zugestanden, daß er als Mensch trotzdem Nutzen aus guten Worten ziehen könne. Aber abgesehen von
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