Roman
wie sie mit einem der Fußballer im Notausgang knutschte und wenig später mit einem anderen in der Herrentoilette. Mir stand kein Urteil zu, denn das Debakel des Eröffnungsabends hatte unglaubliche Narben in meiner Seele hinterlassen (und mindestens ein Dutzend Abdrücke von Gingers Stilettoabsätzen auf der Empfangstheke).
»Also, wir sind dann weg. Bist du sicher, dass wir dir im Pub keinen Platz frei halten sollen?«, fragte Angie, als sie mit Wendy, Pam, Rosie und den Auszubildenden, die wir eingestellt hatten, als Rosie und Angie zu Stylistinnen befördert worden waren, in Richtung Tür marschierte.
»Bin ich. Ich hab heute Abend was anderes vor.«
»Sie lügt!«, trompetete Avril vom Becken. »Lou geht wieder allein nach Hause, macht sich was in der Mikrowelle warm und verbringt den Abend mit Bruce-Willis-Filmen. Sie braucht dringend Hilfe.«
»Haben Sie hier irgendwo einen Tacker, Lou?«, unterbrach Mrs. Marshall sie.
»Ja, irgendwo schon. Wieso?«
»Um ihr damit den Mund zu verschließen«, antwortete sie mit empörter Miene.
Ich lachte und schenkte ihr wieder meine ungeteilte Aufmerksamkeit. »Sind Sie sicher, dass Sie frisurentechnisch bei Ihrem Bob bleiben wollen, Mrs. Marshall?«
Ein Jahr zuvor hatte sie behauptet, ihr verstorbener Mann habe sie aus dem Jenseits besucht, um ihr zu sagen, sie solle sich die Haare zum Bob schneiden lassen, nach New York fliegen und sich dort einen neuen Mann suchen. Tatsächlich war sie nach drei Tagen mit einem vierundsiebzigjährigen ehemaligen Matrosen namens Hank zurückgekommen. Inzwischen hatten sie einen Pudel, den sie Jennifer Aniston genannt hatten, zu Ehren der Frau, die sie angeblich zusammengebracht hatte.
Als Stacey und Mrs. Marshall endlich entlassen waren – mit neuen, Aufsehen erregenden Frisuren –, war es bereits nach acht. Avril und ich zogen die Tür hinter uns zu.
»Kommst du noch mit zu uns?«, fragte meine Cousine, ohne von den Geldscheinen aus ihrem Lohnumschlag aufzusehen, die sie gerade zählte.
»Fragst du, weil du dir meine Gesellschaft wünschst oder weil du nach Hause gefahren werden willst?«
»Weil ich nach Hause gefahren werden will.«
Der Oscar für die beste Zurschaustellung schonungsloser Offenheit geht an Avril Cairney!
»Wo warst du eigentlich, als der liebe Gott Taktgefühl und Diplomatie verteilt hat?«
Grinsend fummelte ich am Türschloss meines silbernen Mazda. Er war mein einziger Luxus. Ich wohnte in einem Apartment, dessen Wände dünn wie Papier waren, in einem Haus, das nach Zahnarzt roch, aber wenigstens hatte ich ein schickes Auto.
»Ich stand in der Reihe für gutes Aussehen und überlegene Intelligenz«, antwortete sie ungerührt.
Ich musste immer noch lachen, als ich sie zehn Minuten später zum Abschied umarmte und zusah, wie sie mit ihren schwindelerregend hohen Absätzen ausstieg und über den Gartenweg stöckelte.
Josie erschien am Fenster und winkte, und ich warf ihr einen Kuss zu. Als ich den ersten Gang einlegte und anfuhr, wurde mir klar, dass es mein sehnlichster Wunsch war, nach Hause zu kommen, den Fernseher ins Bad zu zerren, mich in die Wanne zu legen und einen lehrreichen Dokumentationsfilm anzuschauen. Also gut, einen Bruce-Willis-Film. Avrils Bemerkung hatte mich ein wenig getroffen, aber Stirb langsam 2 war definitiv ein Klassiker.
Außerdem, was kümmerte es mich? Ich war eine erwachsene Frau, besaß ein erfolgreiches Unternehmen, und auch wenn meine Arbeit-Leben-Balance im Moment ein bisschen schiefhing, war das kein Problem. Aktuell waren der Salon und ein Actionschauspieler mit schwindendem Haaransatz nun mal die wichtigsten Dinge in meinem Leben, für alles andere würde es später noch genug Gelegenheiten geben.
Ich parkte vor meinem Haus und trottete die Treppe zu meiner Wohnung hinauf. Ich würde Ginger anrufen. Mit diesem Anruf bewies ich, dass ich kein gänzlich einsames Leben führte. An einem Samstagabend. In der Badewanne. Mit einem Film im Hintergrund. Nicht, dass ich auch nur eine Sekunde davon ausging, dass sie zu Hause war. Seit sie mit Ike verheiratet war, war sie noch mehr unterwegs als früher. Sie wohnte inzwischen in London und hatte sich nach ihrer eigenen Musikerkarriere ein zweites Standbein im Band-Management aufgebaut. Sie behauptete, es mache ihr nichts aus, nie ein echter Star geworden zu sein, aber da war ich mir nicht sicher. Applaus und Scheinwerferlicht waren Ginger immer wichtig gewesen.
Sie fehlte mir.
Und ich würde ihr auf ewig dankbar dafür
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