Roman
wäre, dazu hatte ich nun wirklich keinen Grund. Okay, ich war noch immer ein bisschen traurig, wenn ich daran dachte, wie ich meinen Laden verloren hatte. Und ja, wir hatten jetzt seit fast zwei Jahren ununterbrochen Handwerker im Haus, denn zusätzlich zu der Grundrenovierung, die das Haus nötig hatte, um halbwegs bewohnbar zu sein, hatten wir einen Holzwurm im Deckengebälk entdeckt und Schimmel im Keller. Beides war dem Gutachter vor dem Kauf entgangen. Alex hatte ihn inzwischen verklagt, aber ein Ende der Arbeiten war immer noch nicht absehbar. Ich versuchte mir einzureden, dass die Plane, die das Loch in der Wand verdeckte, wo später mal die Flügeltür zum Garten sein sollte, ein interessanter Hingucker war. Die Glastüren lagen schon seit Monaten in der Garage, aber wir hatten einfach nicht das Geld, sie einsetzen zu lassen.
Und Red arbeitete verdammt viel, er war ständig unterwegs. Um das alles zu finanzieren, machte er nicht nur seinen normalen Job, sondern nahm darüber hinaus jeden Zusatzjob an, den er kriegen konnte. In einer Woche war er manchmal an einem Tag in Aberdeen, am nächsten in Orkney, dann wieder in London und am Wochenende zu einem Fashion Shooting in Barcelona. Mit Models.
War es überraschend, dass mich dieser Zusatz »mit Models« beunruhigte? Sie waren schick und dürr und hatten Hintern wie zwei perfekt geformte Grapefruits. Und von ihnen kam Red dann zu mir – in abgerissenen Klamotten, die nach Haarspray rochen, weil ich irgendwelchen Leuten in meiner halb fertigen Küche die Haare gemacht hatte. Dabei sagte er mir ständig, dass er mich liebte, und ich wusste, dass er nicht mit Katanya, einundzwanzig Jahre alt, 90-80-90, Hobbys: Skifahren, Reisen und Bacardi Breezer, davonlief. Ganz bestimmt nicht. Er war ein anständiger Mann. Ich hatte eine bezaubernde Tochter, tolle Freundinnen, ich war gesund, und am nächsten Tag würden alle, die ich gernhatte, kommen, zur Taufe unseres kleinen Mädchens … also wieso heulte ich mitten am Tag hier herum?
»Du bist einfach erschöpft«, meinte Ginger. »Du brauchst dringend Schlaf, du hast dich völlig verausgabt, du siehst katastrophal aus.«
Nach einem ohrenbetäubenden Schniefen wischte ich mir mit dem Handrücken durchs Gesicht. »Sollte mich das jetzt trösten?«
»Ach, komm schon, ich führe dich aus.«
»So kann ich nicht aus dem Haus gehen«, widersprach ich und zeigte auf mein verflecktes T-Shirt.«
»Warte!« Ginger holte die Tüten, die sie in der Diele abgestellt hatte, und zog aus einer ein superschönes graues Shirt aus Seidenjersey. »Wirf das über, und such dir ein sauberes Paar Jeans! Ich kümmere mich um Cassie, dann geht’s los. Du brauchst dringend ein paar Schönheitsreparaturen, meine Liebe.«
Eine Stunde später befanden wir uns im Zentrum von Glasgow, vor einem Beautysalon, den ich bisher nur aus der Zeitung kannte. Cassie schlief tief und fest in ihrem Buggy.
»Die lassen mich bestimmt nicht rein«, meinte ich zweifelnd, als wir auf die Tür zugingen. Dieser Ort war superedel und sicher horrend teuer. Das war nur was für die Reichen und Schönen, nicht für Frauen wie mich.
Mein Mut sank noch mehr, als wir den Laden betraten. Er hatte etwas von einem balinesischen Beach Resort, viel dunkles Holz und weiße Wände, ein riesiger Wasserfall in der Mitte des Raums, und im Hintergrund dudelte ätherische Musik.
»Ginger! Wie schön, dich zu sehen! Du siehst großartig aus!«, sagte die Vision der Perfektion am Empfang.
Groß, schlank, pechschwarzes Haar bis zur Hüfte, Mittelscheitel. Sie musste um die dreißig sein, aber das war nur geschätzt, denn wo waren ihre Falten? Sie hatte ganz sicher nicht vier Nächte in Folge nur zwanzig Minuten Schlaf gehabt. Sie arbeitete auch bestimmt nicht zwölf Stunden am Tag. Wetten, dass sie auch keinen Ehemann hatte, der ständig unterwegs war? Und auch kein überzogenes Konto. Dafür aber mit Sicherheit vier makellos saubere Küchenwände.
»Alles in Ordnung mit dir?«, zischte Ginger mir zu. In diesem Moment wurde mir klar, dass man mir eine Frage gestellt hatte und nun auf eine Antwort wartete.
»Saskia möchte gern wissen, was du gern hättest.«
»Eh … eh …« Schlaf. Ich wünschte mir bloß Schlaf und dann aufzuwachen und erholt zu sein und nicht mehr so schrecklich müde. »Eine Maniküre vielleicht?«
Ginger seufzte, warf mir einen vernichtenden Blick zu und übernahm. »Wann schließt ihr?«
»Um acht.«
Ich warf einen Blick auf die edle Mahagoniuhr
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