Roman
Herzanfalls umkippen würde? Also los, setzt euch!«
Ich umarmte Cassie und küsste sie auf die Stirn, dann setzte ich mich an den Tisch, und Josie servierte das Essen. Rotes Lamm-Curry, indisches Fladenbrot und Safranreis. Plötzlich hatte ich einen Riesenhunger. Wann hatte ich das letzte Mal was Anständiges gegessen? Irgendwann zwischen der Hot Stone Massage und jetzt war ich zu der Erkenntnis gelangt, dass sich in meinem Leben dringend ein paar Dinge ändern mussten. Die paar Stunden ohne Chaos hatten mir Zeit zum Nachdenken und eine Art Erleuchtung verschafft.
Seit Jahren hatte ich mich aufs Arbeiten konzentriert, ich hatte mein Unternehmen geführt und sechs, manchmal auch sieben Tage in der Woche geschuftet. Sosehr mich das befriedigt hatte, ich hatte andere Bereiche meines Lebens völlig vernachlässigt. Dann hatte ich Red geheiratet, als ich bereits schwanger war, und wir hatten uns sofort in die Elternrolle gestürzt und ganz nebenbei auch noch ein größeres Renovierungsobjekt erstanden, das uns finanziell in die Enge trieb. Ich hatte weiter Kunden in der Küche frisiert, und Red arbeitete Tag und Nacht, damit wir einigermaßen über die Runden kamen. Wenn er nach Hause kam, waren wir meist beide so müde, dass wir kaum mehr als ein Hallo und eine Umarmung schafften, ehe wir erschöpft einschliefen. Das war doch Wahnsinn! Wo blieben da Spaß und Lebensqualität?
Damit war jetzt Schluss. Wir mussten eine letzte Anstrengung unternehmen, um das Haus endlich fertig zu kriegen, danach würde ich mir einen Teilzeitjob suchen, bei dem ich ordentlich verdiente und der mir genug Zeit für meine süße Tochter ließ. Und dann würden mein Mann und ich wieder Zeit füreinander haben und Spaß und Sex. Viel Sex. Ich hatte gerade eine Epilation der Bikinizone hinter mir und schreckte nicht davor zurück, damit bei ihm anzugeben.
Zum ersten Mal seit langem verspürte ich wieder Optimismus. Alles würde gut werden. Wir würden es schaffen.
»Habe ich dir schon gesagt, dass du fantastisch aussiehst?«, fragte Josie. »Wirklich. Wie ich in jungen Jahren, nur ohne diesen Killerbusen.«
Normalerweise tat ich solche Komplimente immer ab, aber dieses Mal sagte ich nichts, weil ich wusste, dass es stimmte. Schließlich war ich von Kopf bis Fuß gezupft, gelackt und gecremt. Ich wollte mich gerade für das Kompliment bedanken, als ich merkte, dass Josie immer noch redete.
»Damals gab’s ja auch diese Wonderbras noch nicht. Stattdessen haben wir uns Socken in den BH gesteckt. Wie auch immer, ich habe mir überlegt …« Ich wurde immer nervös, wenn Josie das sagte, man konnte nie wissen, was als Nächstes aus ihrem Mund kam. Doch dann fuhr sie fort: »… ich habe mir überlegt, dass ich ein paar Tage in der Woche auf Cassie aufpassen könnte.«
Statt der Heinzelmännchen waren jetzt offenbar auch noch die Wunschfeen am Werk.
»Aber du musst doch arbeiten.«
Mein Cousin Michael war unter die Unternehmer gegangen. Er hatte ein paar Coffeeshops aufgemacht, die super liefen. Er hätte Josie gern zur Geschäftsführerin eines dieser Läden gemacht, aber sie hatte abgelehnt und stattdessen vorgezogen, weiter hinter der Theke zu arbeiten. Sie wollte sich den Stress nicht antun, sondern sich lieber weiter mit den Kunden unterhalten.
»Na ja«, fuhr sie fort, »da gibt es Neuigkeiten. Eine gute und eine schlechte. Zuerst die gute: Avril kommt nach Hause!« Josie sagte das mit erstaunlich traurigem Unterton. Avril arbeitete seit einiger Zeit im Wellnessbereich eines Kreuzschiffs, und Josie vermisste sie eigentlich schrecklich. »Und die schlechte Neuigkeit ist, dass Michael die Läden zumacht und nach Italien geht. Seine Frau hat ihn endlich so weit. Er geht zu ihr zurück, und sie ziehen in das Dorf, in dem ihre Eltern leben.« Ich legte meine Hand auf ihre und drückte sie. Auch wenn ihre Kinder inzwischen erwachsen waren, lebte Josie auch weiterhin vor allem für ihre Familie. Es würde schrecklich für sie sein, dass Michael so weit entfernt war. Offenbar fiel es ihr schwer, ihre Traurigkeit einigermaßen im Griff zu haben.
»Wenn es mir nicht gelingen sollte, die blöde Schlampe zu vergiften, werde ich viel Zeit zur Verfügung haben. Ich würde mich gern um Cassie kümmern. Lou.«
»Loulouloulou«, plapperte Cassie nach.
Es klang verstörend – so hatte ihre Tante Ginger mich immer begrüßt, wenn sie ein paar Gläser zu viel getrunken hatte. Ich nahm mir insgeheim vor, später zu überprüfen, was in Cassies Tasse
Weitere Kostenlose Bücher