Romana Exclusiv Band 0183
mit den Schultern. „Ohne diesen Anfang wäre ich vielleicht niemals dorthin gekommen, wo ich jetzt bin.“
Ihre Bewunderung für ihn wuchs. Wenn er weiterhin solche Ansichten von sich gab, würde sie sich zurückhalten müssen, etwas Unüberlegtes zu tun. Zum Beispiel, ihn als Ersten den Gipfel erreichen zu lassen. Wenn der Preis nicht so hoch wäre … Aber sie wusste auch, Hugh würde nur einen Sieg unter fairen Bedingungen akzeptieren.
Wie um ihre Gedanken zu bestätigen, sagte er: „Wollen wir hier den ganzen Tag mit Geplauder verbringen? Auf diese Art werde ich Sie niemals schlagen können.“
Sie funkelte ihn an. „Sie sollten wissen, die Trophäe oben auf dem Gipfel trägt bereits meinen Namen.“
„Sie hat doch gar nicht genug Platz für all die vielen Titel.“
„Für Dee reicht es.“
Lachend trieb sie Gypsy zu schnellerer Gangart an. Hugh war direkt hinter ihr und drängte sie zu einem Tempo, dass die Pferde schweißnass wurden. Ihre Hufe trommelten auf dem schmalen Pfad zwischen den silbrigen Stämmen der Ebereschen und den knorrigen Ästen der Pinien.
An der steilsten Stelle packte sie Gypsys Mähne, stellte sich in die Steigbügel und beugte sich vor, um das Gewicht vom Rücken des Pferds zu nehmen. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Hugh es ihr nachmachte.
Nach scheinbar endlosem Ritt erreichten sie drei Stunden später eine ebene Grasfläche auf dem Kamm eines Felsrückens.
Unter ihnen zogen sich die Windungen des Mayat Rivers durch die in bläulichem Dunst liegenden Berge, die sich bis zum Horizont erstreckten. Am Rand der Ebene erblickte sie die kleine Flagge, die den halben Weg zum Gipfel markierte. Sie hatten verabredet, hier oben Mittag zu essen. Wer als Erster ankam, würde auch als Erster wieder losreiten können. Das würde sie sein.
Sie berührte die rote Flagge, knapp fünf Minuten bevor Hughs Pferd heran war. So würde sie fünf Minuten Vorsprung haben. Es war zwar nicht viel, aber es musste reichen. Und es war besser als andersherum.
„Als Sie den letzten Fluss überquerten, haben Sie aber einiges riskiert“, meinte er beim Essen. Die Pferde grasten in einiger Entfernung in dem saftig grünen Gras.
Sie deutete auf die rote Flagge. „Ich führe, oder?“
„Das hilft Ihnen nichts, wenn Sie sich dabei umbringen.“
„Dann haben Sie das Pferd und das Land.“
„Und Ihre Brüder setzen einen Preis auf meinen Kopf aus.“ Er griff nach einem Apfel. „Warum gehen Sie solche Risiken ein, Dee?“
Sie lehnte sich gegen die raue Rinde der Pinie. Natürlich hätte sie darauf hinweisen können, dass er das gleiche Risiko einging. „Die schlaueste Antwort wäre: aus demselben Grund, aus dem andere den Mount Everest besteigen.“
„Um an persönliche Grenzen zu stoßen?“
„Das ist ein Teil davon.“
„Sie sagten, das sei die schlaueste Antwort. Welche ist die richtige?“
„Meine Grenzen zu erweitern. Denken Sie an das, was Big Dan Jordan Ihnen gesagt hat. Wie Ihre Pflegeeltern von Ihnen, so erwartet man auch von mir, dass ich eine bestimmte Rolle spiele. Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich Teil einer Seifenoper, mit dem einzigen Unterschied, dass ich meine Rolle auch noch spielen muss, wenn die Kamera längst abgeschaltet ist.“
„So versuchen Sie ab und an herauszufinden, wer Sie wirklich sind.“
Sie hatte nicht erwartet, dass er sie so schnell verstehen würde. Ein warmes Gefühl kroch in ihr Herz. „Genau.“
„Aber das muss doch nicht heißen, dass Sie sich umbringen müssen, um es zu erfahren.“
Nach seinem Verständnis war diese Missbilligung wie eine kalte Dusche. „Meinen Sie damit, ich sollte mein Leben einfach akzeptieren?“
„Niemand muss akzeptieren, was das Leben ihm gegeben hat, so lautete Dan Jordans Maxime. Hätte ich es getan, würde ich heute auf der Straße leben, sehr wahrscheinlich vollgepumpt mit Drogen.“
„Und was hat Ihre Meinung geändert?“
„Das wird Ihnen nicht gefallen.“
„Aber ich würde es gern wissen.“
Er holte tief Luft. Es musste ihm egal sein, was sie von ihm dachte. „Also gut. Dan reizte mich so lange, bis ich ihn schlug, und dann hat er’s mir kräftig gegeben.“
Sie schaute ihn schockiert an. Hugh hatte es nicht anders erwartet. „Eine moderne Erziehung scheint mir das nicht gewesen zu sein. War denn niemand da, bei dem Sie sich hätten beschweren können? Jemand, der Sie beschützte?“
Sie empfand tatsächlich Mitgefühl für ihn. Hugh war wirklich erstaunt. „Er hat mich nicht
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