Romana Exklusiv 0176
Kampf. Unschlüssig blickte sie ihren Vater an.
„Ich glaube, dass Mrs. Steele dich braucht, Merry“, sagte er. „Ich glaube, sie hat dich schon sehr lange gebraucht.“
Tränen liefen Merry die Wangen herunter.
„Egal was geschieht, du bleibst immer unsere Tochter“, versicherte Malcolm. „Ich halte es nicht für Unrecht gegen uns, wenn du deine Mutter siehst. Ja, ich wäre sogar stolz auf dich.“
„Stolz?“
Er lächelte. „Ich finde, wir haben dich großartig erzogen. Mrs. Steele soll sehen, dass ihr Opfer nicht umsonst war.“
„Opfer?“, wiederholte Merry völlig verwirrt.
„Ja, glaubst du denn, es war einfach für sie, dich aufzugeben? Das war es auf keinen Fall. Keine Frau kann ihr Kind fortgeben, ohne sich selbst Schmerz zuzufügen. Und diesen Schmerz hat Anthea Steele offenbar niemals überwunden. Denk darüber nach, Darling. Ich werde dich nicht dazu drängen, sie zu treffen, wenn du glaubst, du kannst es nicht. Doch ich wäre sehr stolz, wenn du es tun könntest, okay?“
„Gut.“ Merry nickte.
Lächelnd strich er ihr die Tränen aus dem Gesicht. „Das Treppenhaus ist vielleicht ein etwas ungewöhnlicher Ort für eine solche Unterhaltung, doch ich bin froh über unser Gespräch.“
„Ich auch.“ Merry küsste ihn rasch. Dann eilte sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
Ein paar Minuten später hörte sie die Haustür zuschlagen. Ihr Vater war wie üblich zur Arbeit gegangen. Draußen hörte sie die spielenden Kinder. Nichts schien sich verändert zu haben. Nur sie selbst war nicht mehr dieselbe. Jetzt war sie nicht nur die Tochter von Sarah und Malcolm Charles, sondern auch die Tochter von Anthea Steele, Stieftochter Samuel Steeles und Stiefschwester Gideons. Dieses Wissen veränderte ihr Dasein. Sie wollte genau wissen, wer sie war und wie ihre Mutter war.
Merry stürzte sich dennoch nicht kopfüber in eine Begegnung mit ihrer leiblichen Mutter. Sie ließ sich Zeit und bedachte die Folgen eines solchen Zusammentreffens. Was sie selbst betraf, so glaubte sie nicht, dass eine Enttäuschung sie allzu tief treffen könnte. Sie hatte ja ihren Vater, was auch geschah. Doch falls Anthea wirklich psychisch so labil war, wie Gideon behauptete, konnte ein unerfreulicher Verlauf der Begegnung für sie fatale Folgen haben.
Am Ende siegte die Neugier. Merry wählte die Nummer, die Gideon ihr gegeben hatte. Es meldete sich eine Hotelrezeption. Mr. Steele sei leider nicht im Hause. Ob man ihm etwas ausrichten dürfe?
Nervös kaute Merry an ihrer Unterlippe. Sie war nicht sicher, ob sie noch einmal den Mut aufbringen würde, Gideon anzurufen.
„Würden Sie ihm bitte sagen, Miss Charles habe angerufen“, bat sie.
Nun lag es bei ihm, sich wieder zu melden, falls ihm immer noch an einer Begegnung zwischen Merry und seiner Stiefmutter lag. Merry machte noch ein weiteres Zugeständnis und sagte eine Einladung für den Abend ab. Zumindest musste sie Gideon die Chance geben, sie zu erreichen.
Gegen zehn bereute sie ihren Entschluss. Offenbar war auch Gideon den Abend über unterwegs. Merry war gerade dabei, sich umzukleiden, um doch noch auf die Party zu gehen, als es an der Tür schellte. Hastig zog sie den Reißverschluss ihrer engen roten Samthose hoch und eilte zur Tür.
Zu ihrem Erstaunen stand Gideon Steele davor, elegant wie immer. Beim Anblick ihrer Aufmachung hob er fragend die Brauen.
„Mr. Steele!“
„Sie haben mich angerufen.“
„Ich hatte erwartet, dass Sie zurückrufen, nicht dass Sie hier auftauchen!“, ging Merry sofort in Verteidigungsstellung. Irgendetwas an diesem Mann forderte ihren Widerstand heraus, wann immer sie ihm begegnete. „Ich war im Begriff auszugehen.“
„Und ich dachte schon, Sie haben sich für mich so zurechtgemacht.“
„Kaum.“
Er seufzte ungeduldig. „Können wir nicht drinnen darüber reden?“
Merry ließ ihn eintreten, während sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Warum konnte er nicht einfach anrufen? Es wäre so viel leichter gewesen, am Telefon mit ihm zu sprechen, als ihm gegenüberzustehen.
Natürlich wusste er das. Dieser arrogante Teufel wusste genau, warum sie ihn angerufen hatte und wie schwer ihr dieser Schritt gefallen sein musste.
Gideon lehnte am Kamin. Seine Finger trommelten nervös gegen den Stein. Unwillkürlich bewunderte Merry seine sensiblen Hände.
„Ich nehme an, Sie haben Ihre Meinung geändert und sind nun doch bereit, Anthea zu treffen?“, fragte er direkt.
Merry wurde rot. „Ja.“
Er nickte.
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