Romana Exklusiv 0187
Sie wissen nicht, wo mein Sohn jetzt ist, aber ich hatte gehofft … Wir sind verzweifelt gewesen, weil wir keine Ahnung hatten, was aus ihm geworden ist. Man hört so schreckliche Dinge …“
„Es ging ihm gut“, versicherte Tansy energisch. „Er hatte einen Job als Gärtner gefunden. Vorkenntnisse hat der Mann, der ihn eingestellt hat, nicht verlangt, ihm waren Muskeln lieber. Die hatte Rick auch nicht, das hat sich allerdings schnell geändert.“
Seine Mutter verbarg ihr Erstaunen. „Er … hat bei Ihnen tatsächlich gewohnt?“
„Ja. Er war mein Untermieter“, erwiderte Tansy mit fester Stimme.
Grace Dacre sah Leo an. Die beiden tauschten einen Blick, der Tansy verärgerte.
„Und was machen Sie beruflich, Tansy?“, fragte die ältere Frau.
Ihre Stimme klang ebenso herablassend wie die von Paula Farquharson in dem Nachtclub in Wellington, auch wenn es wohl keine Absicht war. Das Gefühl der Überlegenheit war so tief in ihnen verwurzelt, dass diese Leute nicht einmal merkten, wie arrogant sie waren. Diesmal wurde Tansy jedoch nicht wütend. Grace Dacre war krank und bemühte sich, die Angst um ihren Sohn nicht zu zeigen. Und wie groß diese war, verstand Tansy erst in diesem Moment richtig.
Da sie selbst davongelaufen war und es überlebt hatte und weil sie wusste, dass es Rick gutging, hatte sie das Leid seiner Mutter herunterspielen können. Und Leo ahnte aufgrund ihrer Andeutungen, dass Rick nicht in unmittelbarer Gefahr war. Aber Grace Dacre hielt ihren Sohn für völlig verwahrlost oder tot.
Tansy zog ihre Hand zurück. „Ich habe gerade meinen Bachelor in Komposition an der Victoria University gemacht und will im nächsten Jahr mit meiner Magisterarbeit beginnen.“
„Oh.“
„Und um Geld zu verdienen, singe ich auf der Straße“, fügte Tansy hinzu.
Mrs. Dacre sah verblüfft aus. „Ich verstehe. Haben Sie Ricky dabei kennengelernt?“
Die Verletzlichkeit der Frau machte es Tansy noch schwerer, kühl und abweisend zu bleiben, zumal sie inzwischen wusste, warum Grace Dacre ihren Sohn so verzärtelt hatte. Jetzt, da Tansy mit eigenen Augen die Auswirkungen von Furcht und Ungewissheit sah, brachte sie es nicht fertig, die Qual der Frau zu ignorieren.
„Ja“, erwiderte Tansy freundlich. „Ich sang in der Bahnhofshalle, als Rick aus dem Zug stieg. Ihr Sohn wusste nicht, wohin, deshalb habe ich ihm ein Bett für die Nacht angeboten. Wir sind gut miteinander ausgekommen, und er ist geblieben.“
„Danke. Sie müssen mich für eine schreckliche Frau halten, weil ich Sie so ausfrage, aber wir hatten keine Nachricht von ihm … Er ist aus dem Internat weggelaufen.“ Grace Dacres Stimme zitterte.
„Ja, ich weiß. Am Tag bevor er in Wellington ankam.“
Grace griff nach einer Stuhllehne. Leo stützte seine Stiefmutter, bis die Tränen versiegten und sie weitersprechen konnte. „Ich wünschte, Rick wäre mit seinen Problemen zu uns gekommen. Aber ich bin froh, dass ihm jemand geholfen hat. Und danke, dass Sie die Fahrt hierher auf sich genommen haben, um mit mir zu sprechen, Tansy. Wie lange hat mein Sohn bei Ihnen gewohnt?“
„Zwei Monate.“
„Und Sie wissen nicht, wo er jetzt ist?“
Tansy schaute Leo an. Er erwiderte kühl ihren Blick. Nur ein einziges Mal möchte ich ihn die Beherrschung verlieren sehen, dachte Tansy verbittert. „Nein“, sagte sie und fühlte sich sofort schuldig.
Denn Grace Dacre lächelte zwar tapfer, konnte jedoch nicht verbergen, dass mit dieser Antwort all ihre Hoffnungen zunichtegemacht waren. „Er meldet sich bestimmt bald“, meinte sie mühsam. „Sie werden also eine Weile bei uns bleiben. Ich fürchte, es wird hier ziemlich langweilig für Sie sein.“
„Tansy ist kein besonders geselliger Mensch“, mischte sich Leo ein. „Sie will nur am Strand liegen und ihre neueste Symphonie komponieren. Stimmt’s, Tansy?“
Das klang nicht wie eine Frage, sondern wie eine Drohung. „Hört sich wundervoll an“, erwiderte Tansy steif.
„Ich bin noch nie jemandem begegnet, der Musik schreibt.“ Mrs. Dacre musterte sie, als wäre sie ein neu entdecktes wildes Tier. „Sie müssen mir alles darüber erzählen.“
Sie war eine nette Frau, dennoch wurde Tansy klar, warum Rick an seinen zu hohen Ansprüchen an die Welt gescheitert war.
Und wenn Leo dem gemeinsamen Vater ähnlich war, verstand sie auch, woher Rick die Kraft nahm, seine Sucht zu überwinden.
Grace Dacre stand so still da, als hätte sie bei jeder Bewegung Schmerzen, und Tansy
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