Romana Extra Band 1
wollte sie nicht zulassen, nicht jetzt. „Jedenfalls freue ich mich sehr, wieder hier zu sein“, fuhr ihre Mutter fort. „Und Lindy erst … Ihr Arzt ist übrigens auch der Ansicht, dass der Aufenthalt hier ihr guttut.“
„Trotzdem werde ich sie wohl jetzt besser holen, damit wir aufbrechen können.“ Beth wandte sich zum Gehen und machte sich ein zweites Mal daran, den Hügel zu erklimmen.
Wenige Minuten später saßen die drei Frauen wieder im Wagen, und Beth fuhr los. Es waren nur noch wenige Kilometer nach Estellencs, doch ein Gefühl des Nachhausekommens stellte sich bei ihr nicht ein.
Das Haus, vor dem Beth den Mietwagen parkte, schien einem Bilderbuch zu entstammen: Es lag ein wenig abseits, direkt an der Steilküste. Über einen schmalen Pfad mit vielen Stufen gelangte man zu einem kleinen Kiesstrand hinunter. Das Gebäude selbst war – im Gegensatz zu den meisten anderen in der Region – aus Holz und hatte eine große Veranda.
„Oh, wie schön, wir sind da!“, rief Lindy begeistert. Helen stieg aus, und das Mädchen folgte ihr, so schnell sein Handicap es erlaubte. Nur Beth blieb noch im Auto sitzen und starrte gedankenverloren ins Leere. Erstaunlich stellte sie verwundert fest . Wie viele Erinnerungen allein der Anblick des Hauses heraufbeschwört.
Die meisten angenehmen Eindrücke von damals waren untrennbar mit diesem Haus und Onkel Timothy verbunden, der mehr Zeit bei ihnen verbracht hatte als in seinen eigenen vier Wänden. Natürlich war er nicht ihr echter Onkel. Doch als einzige Engländer unter lauter Mallorquinern waren er und Beths Familie ganz von selbst miteinander in Kontakt gekommen.
Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie an die Abende dachte, die sie gemeinsam draußen auf der Terrasse verbracht hatten.
In mancherlei Hinsicht gehörten diese kostbaren Momente zu ihren letzten glücklichen Erinnerungen. Denn schon kurze Zeit später war ihr unbeschwertes Leben in sich zusammengestürzt wie ein Kartenhaus. Und nicht zum ersten Mal fragte Beth sich, ob dasselbe nicht auch für ihre Eltern galt.
Sie waren noch vor Beths Geburt nach Mallorca gegangen, weil sie sich hier eine bessere Zukunft erhofften. Clive Coldwell fand eine Anstellung als Bootsbauer – harte Arbeit, die nicht besonders gut bezahlt wurde, doch er und seine Frau waren glücklich. Und dann kam Beth und später Lindy zur Welt, und alles schien perfekt. Erst als Clive von einem Tag auf den anderen seine Stellung verlor, bekam die Idylle Risse.
Helen hielt die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser, aber ihr Mann tat sich schwer damit, nicht mehr für Frau und Kinder sorgen zu können. Er fing an, seinen Frust im Alkohol zu ertränken.
Beth atmete tief durch, um die Gedanken an die Vergangenheit abzuschütteln.
Sie stieg aus und hob die Reisetaschen aus dem Kofferraum. Mit den Taschen bepackt stieg Beth die Verandastufen hinauf, als Timothy Garland heraustrat.
Ein Lächeln erhellte sein sonnengebräuntes, von Falten durchzogenes Gesicht, und seine hellblauen Augen blitzten vor Freude. Er musste inzwischen die sechzig überschritten haben, wirkte aber immer noch überraschend jung. „Beth, Liebes!“, begrüßte er sie freundlich. „Es ist so schön, dich endlich wiederzusehen!“
Beth stellte ihr Gepäck ab, und sie umarmten sich. Obwohl der Kontakt abgerissen war, nachdem sie Mallorca verlassen hatte, fühlte es sich absolut richtig und vertraut an, Timothy zu umarmen. „Ich freue mich auch, Onkel Tim“, sagte sie und stellte überrascht fest, dass ihre Stimme erstickt klang. „Es ist so lange her …“
Timothy löste sich von ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Dann lass uns zusehen, dass nicht so viel Zeit verstreicht, bis zum nächsten Wiedersehen, einverstanden?“
Beth nickte gerührt. Sie gestattete Timothy, ihr eine der Taschen abzunehmen, und folgte ihm ins dämmrige Innere. Nach der brütenden Hitze im Wagen erschien ihr die Luft im Eingangsflur angenehm kühl.
Timothy hatte Helen Coldwell das Haus abgekauft, als sie kurz nach Clives Tod mit Lindy nach Palma gezogen war – zu einem mehr als anständigen Preis, wenn man bedachte, dass die Einheimischen mit der eher englischen Architektur des Gebäudes nicht viel anfangen konnten und Estellencs zu weit abseits der üblichen Touristenpfade lag, um als Sommerresidenz viel hermachen zu können. Doch von dem Geld war längst nichts mehr übrig …
„Komm mit“, sagte er. „Ich habe Kaffee aufgesetzt. Er sollte
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