Romana Extra Band 3
blauen Augen und die gleichen ausgeprägten Gesichtszüge. Charakterlich unterschieden sie sich jedoch erheblich.
Ava umarmte zuerst ihren Bruder, ehe sie Mel innig an sich drückte. „Wir haben uns viel zu lange nicht gesehen“, sagte sie mit Tränen in den Augen.
„Ich habe dich auch vermisst“, antwortete Mel. „Zu schade, dass wir uns aus diesem Anlass wiedersehen.“ Aus diesem traurigen Anlass, sagte sie nicht. Gregory Langdon mochte ein bedeutender Mann gewesen sein, aber Liebe hatte er gegenüber niemandem gezeigt – von ihrer Mutter einmal abgesehen. Kein Wunder, dass er bei so vielen Menschen Eifersucht, Hass und Verzweiflung erregt hatte.
„Wer ist bei Grandpa?“, fragte Dev seine Schwester.
„Dad … und noch einige andere.“
Ava war nicht nur schön, sondern auch begabt. Sie malte und spielte wunderbar Klavier, aber ihre Rolle in der Familie war festgelegt. Eine Tochter hatte eine gute Partie zu machen, alles andere war Männersache. Mel hatte sich gegen diese Sichtweise aufgelehnt.
„Ich bleibe draußen“, erklärte sie vor der Tür zu Gregorys Schlafzimmer. „Ich gehöre nicht zur Familie.“
Der Empfang durch ihre Mutter hatte sie tief verletzt. Für Sarina zählte nur Gregory. Ob sie ihren Ehemann jemals geliebt hatte? Vielleicht, aber irgendwann war sie Gregory Langdon verfallen. Oder umgekehrt. Sie war seine Geliebte geworden, aber darüber durfte nicht gesprochen werden. Das Thema wurde totgeschwiegen und belastete Mels Beziehung zu Dev bis heute. Wann war Sarina ihrem Mann untreu geworden? Solange beide auf Maru Downs gearbeitet hatten, wohl eher nicht und auch sicherlich nicht zu Mireilles Lebzeiten. Mireille hatte sie mit Argusaugen beobachtet.
Dev drängte Mel nicht. Er nickte, zum Zeichen, dass er ihre Haltung respektierte, legte seiner Schwester den Arm um die Schultern und betrat mit ihr das Sterbezimmer, während Mel mit ihrer Mutter allein zurückblieb.
Sprich mit mir, Mum. Ich bin hier …
Sarina sah jedoch gedankenverloren vor sich hin, bis Mel bissig bemerkte: „Das war ja ein netter Empfang, Mum.“
„Was hast du erwartet?“, fuhr Sarina sie an, und ihre dunklen Augen hatten einen feindseligen Ausdruck.
„Etwas mehr Mitgefühl“, gab Mel ehrlich zu. „Das zeigt mir wieder einmal, wie wenig ich dich kenne. Aber du hast mir nie viel von dir mitgeteilt … immer nur das, was du wolltest. Inzwischen bist du ganz Gregorys Geschöpf.“
Sarina reagierte anders als erwartet. Sie hob die Hand und schlug Mel ins Gesicht. „Wie kannst du es wagen! Ich möchte so etwas nie wieder hören.“
Mel war zu stolz, um ihre brennende Wange zu berühren, aber sie hatte das Gefühl, dass es ihr in diesem Moment das Herz brach. „Ich werde garantiert nichts mehr sagen, Mum“, erklärte sie. „Dieses eine Mal genügt. Du hast uns beide in ein Gefängnis gesperrt, zu dem Gregory den Schlüssel besaß. Ich bedauere seinen Tod nicht. Er war ein Tyrann, und du hast durch ihn deine Persönlichkeit verloren. Vergiss nicht, dass ich auch die Tochter meines Vaters bin. Einer muss schließlich für ihn sprechen.“
Sarina war geschockt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Für sie gehörte Mike Norton, ihr toter Ehemann, der Vergangenheit an.
„Warum hasst du Gregory so sehr?“, fragte sie und sah Mel finster an. „Er hat viel für dich getan.“
Diese Feststellung erregte Mel noch mehr. „Selbst jetzt ist er dir wichtiger als Dad“, hielt sie ihrer Mutter vor. „Komm endlich zu dir, Mum. Gregory hat alles nur für dich getan. Du warst seine Sklavin. Er holte dich nach Kooraki . Nur deinetwegen bekam Dad die gute Anstellung. Gregory wollte dich in seiner Nähe haben. Er bestimmte dein Leben … so, wie du meins bestimmen wolltest. Aber das hat nicht funktioniert.“
„Gregory ist tot, Amelia.“ Sarina wollte nicht noch mehr Anschuldigungen hören. Einerseits bewunderte sie ihre Tochter, und andererseits fürchtete sie sie. Mel sprach aus, was sie dachte.
„Dann werden wir beide hier nicht länger willkommen sein, Mum. Wir sind Außenseiter.“
„Ich bin überzeugt, dass Gregory für mich gesorgt hat.“
„Das weißt du ja bestimmt aus erster Quelle.“
„Seit wann bist du so hart und unversöhnlich?“, zischte Sarina.
„Seit ich gehört habe, dass Mireille dich eine charakterlose Schlampe genannt hat“, antwortete Mel unverblümt. „Weißt du noch, wie ich auf sie losgegangen bin? Du musstest mich von ihr wegziehen. Danach wünschte ich nur noch, wir
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