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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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ihn wartet.
    Den Erzähler aber, den er sich vertraut gemacht hat und für den er – so lehrte es ihn und uns der Fuchs – zeitlebens verantwortlich wäre, lässt er allein in der Wüste zurück. Es geht halt nicht anders: Manchmal muss man sich entscheiden. Der Prinz kann nicht gleichzeitig seiner Rose und seinem neuen Freund die Treue halten. Beim kleinen Prinzen klafft zwischen den Reden und den Taten ein Widerspruch, ähnlich wie beim Bundespräsidenten.
    Der Gedanke der Erlösung taucht in allen Religionen auf. Die individuelle Selbsterlösung auf Erden aber, im laufenden Betrieb sozusagen, durch ein wie auch immer geartetes, »richtiges Leben« ist eine Idee, die in den 70er Jahren besonders populär wurde.
    In den 60er und 70er Jahren hatte es im Westen einerseits die Renaissance des Marxismus gegeben, des strengen theoretischenDenkens, der Gesellschaftskritik. Beim Kommunistischen Bund, in den Marxistischen Gruppen oder beim MSB Spartakus, so hießen damals die beliebten Jugendklubs, waren intensive Gefühle, ein empfindsames Gemüt und gelebte Spiritualität für das Fortkommen eher hinderlich. Das waren, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, knallharte Männerbünde.
    Ungefähr gleichzeitig setzte aber, wie so oft, auch schon die Gegenbewegung ein, mit den Hippies, mit den angeblich bewusstseinserweiternden Drogen, mit Büchern wie »Die Möwe Jonathan«, »Der Papalagi«, Filmen wie »Koyaanisqatsi« oder eben dem »Kleinen Prinzen«. Die einen schauten auf die Gesellschaft und suchten kollektive Erlösung in der Revolution, die anderen schauten lieber in sich hinein. Der eine Weg konnte zum Beispiel ins deutsche Außenministerium führen, der andere Weg führte vielleicht nach Poona.
    Viele Leute aber tanzten erst mal gleichzeitig auf beiden Hochzeiten. Für den Kopf las man Adorno und Horkheimer, für den Bauch ist der »Kleine Prinz« zuständig gewesen. Der »Kleine Prinz« war eine Möglichkeit, religiöses Denken zuzulassen, ohne es vor sich selbst zugeben zu müssen.
    Wenn man diese sogenannten Kultbücher der 70er Jahre vergleicht, glaubt man manchmal, die gleiche Stimme zu hören. Die Möwe Jonathan sagt: »Es gelingt immer wieder, wenn du genau weißt, was du willst.« Oder: »Am weitesten sieht, wer am höchsten steigt.« Das ist natürlich spirituell gemeint, nicht karrieretechnisch. Sogar der kleine Prinz könnte es schwurbeliger nicht ausdrücken.
    Der Papalagi lehrt im Kapitel »Die schwere Krankheit des Denkens«: »Wenn einer viel und schnell denkt, sagt man in Europa, er sei ein großer Kopf. Statt mit den großen Köpfen Mitleid zu haben, werden sie besonders verehrt.« Die großenKöpfe sind beim Papalagi ungefähr das, was beim Prinzen die großen Leute sind.
    »Die Möwe Jonathan« von Richard Bach erschien 1970, der »Papalagi« kam schon 1920 heraus. Verfasser dieser fiktiven Rede eines Häuptlings an sein Südseevolk war der deutsche Autor Erich Scheurmann. Gemeinsam ist diesen Büchern, neben der jesuanischen Grundmelodie, ihre zivilisationskritische Botschaft. Wobei vor allem der Papalagi, zusammen mit der Zivilisation, auch die Intellektuellen verdammt, obwohl doch gerade die Intellektuellen bei der Zivilisationskritik oft an vorderster Front zu finden sind.
    So schlimm ist die Bildung der großen Leute auch wieder nicht, zumindest nicht immer. Wie soll man, ohne sie, jemals aus der Unmündigkeit herausfinden? Und welchen Sinn hat es, sich von der Religion zu verabschieden, wenn man an ihre Stelle einen so unzuverlässigen Kompass setzt wie das eigene Gefühl?
    »Der kleine Prinz« gehört zu den Büchern, auf die alle sich irgendwie einigen können, weil sie niemandem etwas zumuten und weil sie ihre Allerweltsbotschaften unter einem feuchtwarmen Nebel des scheinbaren Tiefsinns verstecken – eine Kinderbibel für Erwachsene, aus der alle unerfreulichen Religionsbestandteile wie Sünde, Verdammnis oder Qual getilgt sind. Und das perfekte Buch für die spätestens seit den 70ern heraufdämmernde Ego-Gesellschaft. Wir fassen einander, wenn der Mond im siebten Hause steht, an den Händen und haben uns lieb – uns, das heißt jeder sich selber.
    Mahatma Gandhi hat einmal die sieben Todsünden der kapitalistischen Gesellschaft aufgezählt: Politik ohne Prinzip, Wohlstand ohne Arbeit, Handel ohne Moral, Vergnügen ohne Gewissen, Erziehung ohne Charakter, Wissenschaftohne Menschlichkeit, Religion ohne Opfer. Demnach passt der kleine Prinz ganz gut in unsere kapitalistischen

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