Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Angst?»
«Nein, das macht mir keine Angst, Herr», erwiderte Shuntaro, «denn ich weiß, wenn ich in der mir bestimmten Hölle ankomme, werde ich dort das Vergnügen haben, meine Hand in die feuchte Fotze Eurer Mutter zu stecken, die mich dort bereits erwartet.»
Shuntaro hob den Blick und sah den Marschall an, und während er in dessen schmale, kalte Augen starrte, fuhr er sich mit einem Finger in die leere Augenhöhle, schnippte einige Klumpen geronnenes Blut, Eiter und was sich an Unrat noch darin befand heraus und spritzte es dem Offizier über die Brust.
«Spießt mich doch mit Speeren auf wie einen Hund! Glaubt Ihr etwa, ich fürchte mich vor so was? Es wäre nicht das erste Mal, dass ich Speere abkriege», spie Shuntaro, riss sich das Wams auf und entblößte eine gezackte Narbe seitlich am Bauch. «Ich habe vor gar nichts Angst, was Ihr mir antun könntet. Kreuzigt mich! Hackt mich in Stücke! Holt alle Eure Männer herbei, und ich werde Euch Kindern eine Lektion erteilen. Ich werde Euch zeigen, wie man stirbt, ich zeige Euch meinen Leib und meine Seele und was Ihr sonst noch zu sehen wünscht, und dann wird mein Geist wiederkehren und Eure Töchter als Huren einreiten.»
Fushimi war nur ganz leicht zurückgezuckt, als der Alte ihn beschmutzt hatte. Lediglich die Hand, die ihm das Tuch vor den Mund hielt und die er nun sinken ließ, verriet seine Fassungslosigkeit. Als Shuntaro jedoch immer noch weiter zeterte, verzog sich sein Gesicht zu einer geradezu teuflisch anmutenden Fratze des Zorns.
«Schafft einen Kessel herbei!», stieß der Marschall hervor. «Und Öl!»
Dann ging er und stiefelte starr vor Zorn die Treppe hinauf. Die anderen Samurai blickten entsetzt und wütend, folgten ihrem Herrn und schlossen hinter sich die Tür.
Als die Gefangenen wieder allein waren, lag ein seltsamer Ausdruck auf Shuntaros Gesicht. Alle im Käfig starrten ihn an. Der alte Mann atmete tief durch.
«So, jetzt ist es vollbracht», sagte er und lächelte matt. «Das war mein Plan.»
Das brach den Bann. Die anderen Banditen scharten sich um Shuntaro und drangen mit ihren Fragen, ihrer Wut und ihren Zweifeln auf ihn ein. Der ließ alles an sich abperlen.
«Warum hast du das getan?», fragte einer mit Tränen in den Augen, und er war es, der Shuntaro schließlich eine Reaktion entlockte. «Das ist doch kein Plan. Was tust du?»
«Mein Sohn, du müsstest es doch am besten verstehen …», sagte Shuntaro zu dem Jüngeren, hielt dann inne, sammelte sich und sprach zu ihnen allen: «Nein, hört mir zu. Ihr alle seid wie Söhne für mich. Jahrelang seid ihr mir klaglos gefolgt, obwohl es meine Entscheidung war, das alles zu beginnen. Ihr habt mir oft eure Loyalität bewiesen, und ich kann euch gar nicht sagen, was mir das bedeutet. Leider kann ich es euch in diesem Leben nicht vergelten. Es ist so: Ich habe sie von euch abgelenkt. Jetzt werden sie alle mich im Blick behalten, solange es dauert, und das heißt, dass ihr fliehen könnt. Ihr müsst nur noch eine Möglichkeit finden, aus dieser Zelle herauszukommen, aber ich weiß, das könnt ihr. Und dann lauft ihr einfach weg. Kümmert euch nicht um mich. Lauft, lauft, bis ihr meint, dass ihr in Sicherheit seid. Sucht euch eine neue Heimat. Zeugt Söhne und Töchter und lebt. Habt ihr das verstanden?»
«Nein, Shuntaro, wir können dich nicht hier zurücklassen», erwiderte einer, doch er sprach für alle.
«Ihr müsst.»
«Sie werden dich abschlachten.»
«Ich weiß.»
«Das können wir nicht zulassen.»
«Es ist jetzt zu spät, noch etwas daran zu ändern», sagte Shuntaro. «So ist der Lauf der Welt. Ich habe dazu nichts mehr beizusteuern, und daher wird es nun für mich Zeit zu gehen. Enttäuscht mich nicht. Brecht aus dem Käfig aus und lasst mich sterben.»
Er hatte zwar mit bebender Stimme gesprochen, war aber der Einzige, dessen Augen nicht feucht geworden waren. Allerdings hatte er, als er sich in die Augenhöhle gegriffen hatte, dort eine Wunde wieder aufgerissen, und daher lief ihm nun ein dünnes Rinnsal Blut die Wange hinab, was zwischen ihm und seinen Männern, die entweder mühsam die Tränen zurückhielten oder ungehemmt weinten, eine sonderbare Symmetrie herstellte.
Das alles wirkte bei so harten Kerlen recht befremdlich. Bennosuke sah zu und wusste, dass hier Bande durchtrennt wurden, die er nie gekannt hatte.
An einem Ort, wo Tierkadaver verarbeitet wurden, um daraus Leder, Leim oder Plektren herzustellen, mit denen eines Tages in schönen
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