Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
ihm nicht. Schließlich nickte er dem Jungen zu, wobei die Andeutung eines Lächelns um seine Lippen spielte, und dann verschwand auch er.
* * *
So war es die nächsten Monate weitergegangen: Wagemut, gekränkter Stolz und Langeweile hatten die Männer dazu getrieben, ihn herauszufordern, und so hatte er Stück für Stück seine Rüstung aufgebessert, bis er das beisammenhatte, was er an diesem Tag trug: Schulterschützer und Panzerschürzen, einen richtigen Helm mit Nacken- und Gesichtsschutz, der viel edler war als jene, die Männer seines Alters sonst meist besaßen.
Die anderen machten natürlich ein finsteres Gesicht, wenn sie ihren Harnisch oder ihre Beinschienen an ihn verloren hatten, aber sein Können konnten sie nicht bestreiten. Sie ärgerten sich über ihn und bewunderten ihn zugleich. Er war ihr Außenseiterchampion – der Beste unter ihnen, der aber stets Abstand zu ihnen hielt.
An jenem Morgen in Sekigahara nickten sie ihm zu, weiter aber ging die Kameradschaft zwischen ihnen nicht. Wortlos folgte Bennosuke ihnen zu der Stelle, wo sie sich um Kumagai scharten. Der Junge hielt sich im Hintergrund, ließ andere Männer vorbei, denn er konnte über ihre Köpfe hinweg gut genug sehen.
Kumagai bemerkte sie einen Moment lang gar nicht. Er hockte auf einer Plattform, einer Konstruktion aus Bambus und anderem Holz, die als Wachturm gedacht war, und hielt eine brennende Lunte an eine dunkle Metallröhre. Eine Rakete schoss daraus empor und verschwand fast augenblicklich in der grauen Masse über ihnen. Kurz darauf erklang aus dem Nebel ein jämmerlicher Explosionsknall.
«Mist … Meinst du, das hat einer gesehen?», fragte er den Mann, der neben ihm auf der Plattform hockte. Dem fiel als Antwort nur ein Achselzucken ein, und Kumagai rieb sich nachdenklich den Nacken. «Na, das wird ein Spaß, das hier zu organisieren.»
Er erhob sich, wandte sich um und wurde anscheinend erst in diesem Moment der Männer gewahr, die sich um ihn versammelt hatte. Er grinste ihnen zu und breitete die Arme aus.
«Also», begann er. «Ihr habt es schon gehört?»
«Gestern hätten die nicht kommen können, oder?», rief einer in heiterem Ton. «Gestern war noch nicht so ein Scheißnebel.»
«Wir haben hier nichts zu befehlen», erwiderte Kumagai und spielte das Spielchen mit. «Wir können immerhin bis zu unseren Speerspitzen sehen – was müssen wir uns um andere Dinge sorgen?»
«Rücken wir wirklich vor?», fragte ein anderer, der ein wenig ernster klang, aber alles andere als düster. «Wir haben uns hier verschanzt – sollten wir uns da nicht eher von Tokugawa angreifen lassen?»
«Das wäre vernünftig, wenn wir vereint wären, aber ihr wisst es ja so gut wie ich: Es droht Verrat», gab Kumagai freimütig zurück. «Ich glaube, unser Herr, der höchst ehrenwerte Fürst Ukita, will eine Entscheidung herbeiführen und den Feind angreifen, ehe sich der Verrat einen Weg ins Herz geringerer Männer zu nagen vermag.»
«Welcher Fürst treibt denn ein falsches Spiel?»
«Wer weiß das schon. Vielleicht sie alle», erwiderte Kumagai achselzuckend. «Wir rücken jedenfalls vor, um den anderen ein gutes Beispiel zu bieten. Selbst wenn wir eingekesselt werden, wird das Licht unserer Tapferkeit noch Generationen lang leuchten. Unser höchst ehrenwerter Fürst Ukita war doch immer ein Mann von klarem Verstand – oder etwa nicht?»
Die Männer stimmten ein beifälliges Gebrüll an, Bennosuke jedoch hielt den Mund. Ihm krampfte sich der Magen zusammen. Der Krieg, hatte er gedacht, sollte eine so wohlerwogene Sache sein wie ein Gedicht. Ein General wägte seine Befehle sorgfältig ab, in Kenntnis aller Risiken. So war es seit den Zeiten des alten China. Shogi konnte man ja auch nicht spielen, wenn man die Spielfiguren nicht kannte oder den Aufbau des Spielbretts … oder den Gegner.
Hinter ihnen erschollen Schreie: Sie sollten Platz machen. Dutzende Kavalleristen kanterten hintereinander herbei. Die Reiter beugten sich vor, damit sich die auf ihrem Rücken angebrachten Banner nicht im Astwerk der Bäume verfingen. Kumagai sah ihnen wehmütig zu – er und seine Männer hatten nicht genug Zeit gehabt, ihre Pferde herbeizuschaffen. Dann verzog sich sein schmales Gesicht zu einem bitteren Grinsen.
«Viel Vergnügen!», schrie er ihnen nach. Seine Augen funkelten, während seine Stimme in Gelächter überging. «Viel Vergnügen, ihr glücklichen Scheißkerle!»
Bennosuke beobachtete den Samurai, diesen Menschenführer, der
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