Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
empor, die wie die Rücken im Wasser liegender Schildkröten wirkten, und wenn die Reiter auf dem Talgrund angelangt waren, mussten sie diese umrunden. Rechts, landeinwärts und Richtung Gebirge, begann viel dichterer Wald, und in dessen Schutz, das wusste er, konnte er vor den Reitern fliehen und anschließend gehen, wohin auch immer dieser Wald führte, vor jeder Verfolgung sicher.
Doch erst mal musste er dorthin gelangen, und die Distanz schrumpfte nur sehr langsam. Inzwischen tat ihm der ganze Körper weh, die Knöchel bluteten, wundgescheuert von den Beinschienen, und immer wieder spürte er Phantompfeile in seinen Rücken dringen. Langsam, ganz langsam nahte der Schutz des Waldes.
Je näher er ihm kam, desto mehr gab er sich Illusionen und Hoffnungen hin. Er träumte davon, in diesem Wald auf einen Bach zu stoßen; sein Mund und seine Kehle waren vollkommen ausgetrocknet. Er sah die Bäume, mächtige Stämme, die fünfzehn Mann hoch kahl aufragten und erst darüber belaubte Wipfel trugen. Sie standen nur Armesbreiten voneinander entfernt, und sie riefen nach ihm. Noch vierzig Schritte, noch dreißig, noch zwanzig …
Als er an einem Hain vorüberlief, kam darin ein einzelner Tokugawa-Reiter zum Vorschein, vielleicht ein Kundschafter. Er umkreiste mit seinem Pferd gerade einen am Boden liegenden Mann, den er mit einem seiner Pfeile niedergestreckt hatte. Vor ihm hockten zwei weitere Männer, und als sie Bennosuke erblickten, sah auch der Reiter zu ihm hinüber.
Bennosuke und er teilten einen schockhaften Moment, und dem Jungen wurde schlagartig klar, dass er vollkommen ungeschützt war. Hier gab es keinen Baum oder Strauch, hinter den er sich hätte werfen können – er war ganz der Gnade des Bogenschützen ausgeliefert. Der hatte jedoch gerade keinen Pfeil aufgelegt, und die nächsten Sekunden, in denen der Reiter nach seinem Köcher griff, waren entscheidend.
Bennosuke griff ebenfalls nach seinen Waffen. Er zog sein Kurzschwert, nahm kurz Anlauf und schleuderte es mit solcher Wucht auf den Reiter, dass er sich dabei fast überschlagen hätte. Doch er war erschöpft, sein Ziel weit entfernt, und schon als das Schwert seine Hand verließ, war ihm klar, dass es ein schlechter Wurf war. Verzweifelt sah er zu, wie das wild herumwirbelnde Schwert vom Kurs abkam und Richtung Boden flog.
Der Reiter zog die Bogensehne zurück, und Bennosukes Blick folgte der sich hebenden Pfeilspitze, während sein ganzer Körper aus Angst vor dem nun bevorstehenden Treffer erstarrte. Deshalb nahm er kaum wahr, dass das Kurzschwert auf dem Grasboden abprallte. Er hatte es mit solcher Gewalt geworfen, dass es nun in einem wilden Bogen aufwärts flog und das Pferd des Reiters am Maul traf. Das Tier schrie auf, begann, sich aufzubäumen und auszutreten, und der Reiter versenkte den Pfeil fluchend im Boden, griff nach den Zügeln und bemühte sich, das Pferd wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Bennosuke nutzte die Chance. Er zog sein Langschwert und griff an, und der Reiter sah ihn mit bangem Blick nahen. Er ließ den Bogen fallen und griff nach etwas an seiner Seite, aber zu langsam. Der Junge sprang wie ein wilder Jäger herbei, das Schwert beidhändig über dem Kopf haltend, und rammte es dem Mann mit Leichtigkeit durch die dünne Rüstung und den Brustkorb.
Der Reiter schrie auf, das Pferd ging durch, und Bennosuke wurde das Schwert aus der Hand gerissen und er selber zu Boden gestoßen. Der Mann schaffte es noch, sich eine kurze Strecke im Sattel zu halten, doch dann sah Bennosuke auf den Knien zu, wie sein Leib erschlaffte und er mit dem Gesicht voran zu Boden fiel. Er erhob sich nicht mehr, und während der Junge seine beiden Schwerter einsammeln ging, durchströmte ihn freudige Erregung.
Jetzt war der Wald sein. Und damit die Freiheit.
«Danke!», sagte einer der Männer. Bennosuke hatte die beiden ganz vergessen und drehte sich jetzt zu ihnen um, um ihnen einen Zeichen zu geben, dass sie gehen könnten. Als er sie aber genauer ansah, spannte sich sein ganzer Körper an. Die beiden erwiderten seinen Blick kurz beklommen, die plötzliche Veränderung bemerkend, die in ihm vorging.
«Komm, gehen wir!», sagte der erste zum zweiten, denn in der Nähe waren nun Schreie und Hufgetrappel zu hören. «Wir haben keine Zeit! Zum Sammelpunkt!»
«Scheiß drauf! Die Fürsten sind doch alle tot», erwiderte der zweite. «Hauen wir ab!»
«Der Erbe lebt! Wir müssen ihn beschützen!», beharrte der erste und zog den zweiten mit
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