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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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Lieblingsspeise Munisais und eine seltene Delikatesse. Er hatte mit niemandem über diese Vorliebe gesprochen, Shinmen aber wusste dennoch davon.
    Er verneigte sich vor seinem lächelnden Herrn, sprachlos angesichts des Geschenks.
    Zurück in seinem Haus, schürte er die Kohlen unter einem gusseisernen Bratrost, hebelte mit einem Messer die Austern auf und garte sie in der halben Schale. Das graue Fleisch begann bald zu brutzeln. Munisai sah dabei zu, genoss den Geruch, lauschte dem Zischen des Salzwassers. Es war, als erlebte er all das nicht zum letzten, sondern zum ersten Mal.
    Sie waren schnell gar. Normalerweise ließ ihn, wenn er Austern aß, die Sorge nie ganz los, dass er sich den Magen daran verderben könnte. Doch warum hätte er sich an diesem Tag vor so etwas fürchten sollen? Vielleicht deshalb waren diese vier Austern für ihn ein vollkommener Genuss.
    Nachdem er somit sein letztes Mahl zu sich genommen hatte, badete er mit duftenden Ölen und Seifen, rasierte sich die Kopfoberseite und das Gesicht und band sich das lange Haar zu dem üblichen Knoten. Dann war es Zeit, sich anzukleiden.
    Der festliche Kimono, den er bei der Zeremonie tragen würde, war blütenweiß. Ihn anzulegen war ein Ritual und eine Herausforderung; das Kleidungsstück sollte seinen Körper nach der Enthauptung daran hindern, in unschöner Weise zu zucken und um sich zu schlagen, und enthielt zu diesem Zweck zahlreiche verborgene Gurte und Bänder. Doch Munisai musste feststellen, dass es ihm fast unmöglich war, sie mit seiner geschwächten Linken korrekt zu binden und zu knoten. Er nahm seinen Mund zu Hilfe, aber das führte nur dazu, dass er sich in immer neuen absurden Verrenkungen wiederfand.
    Resigniert seufzend spie er ein Band aus und ließ den Kimono zu Boden rutschen. Wie lächerlich er aussehen musste, halb nackt, halb für den Tod gerüstet. Mit einem Mal war ihm nach Lachen zumute.
    «Der Herbst, sagt man, sei die beste Jahreszeit zum Sterben», erklang eine Stimme hinter ihm. Munisai wandte sich um. Dorinbo hatte leise das Haus betreten und stand am Eingang. «Man erlebt weder den Tod der Welt im Winter, noch wird man des neuen Lebens beraubt, das der Frühling verheißt. Der perfekte Zeitpunkt. Das sagen natürlich die gleichen Männer, die das, was du heute Nachmittag vollziehen wirst, als ‹Blutblume› bezeichnen. Und ich weiß nicht, wie viel Vertrauen ich den Worten von Leuten schenken soll, die in rotem Blut, das von einem weißen Kimono aufgesogen wird, eine sich öffnende Blüte sehen.»
    «Du bist zu mir gekommen», sagte Munisai. «Bruder.»
    «Ja, das bin ich, Bruder», erwiderte Dorinbo und wies auf das am Boden liegende Kleidungsstück. «Soll ich dir helfen?»
    In den Augen des Mönchs lag keinerlei Feindschaft mehr. Munisai nickte, und sein Bruder trat hinzu, hob den Kimono auf und begann, ihn Munisai anzulegen. Das Flechten der Gebetszweige schien eine gute Übung gewesen zu sein. Er erledigte die Aufgabe flink und zog die Knoten erstaunlich kräftig zu.
    «Ich bin gekommen, um dir zu danken», sagte Dorinbo. «Es ist tapfer, was du für Bennosuke tust.»
    Nach kurzem Schweigen zwang Munisai sich, zu erwidern: «Ich mache das nicht nur für ihn.»
    «Wie meinst du das?» Der Mönch befand sich hinter ihm, doch Munisai wusste ganz genau, wie er in diesem Moment blickte.
    Er schlug die Augen nieder, indes ihm die Worte langsam und unbeholfen über die Lippen kamen. «Ich werde heute den Totenfluss überqueren. Yoshiko wird mich am jenseitigen Ufer erwarten. Ich habe ihr Unrecht getan. Sie verdiente nicht, zu sterben. Aber nach dem, was ich heute tun werde, nachdem ich für Bennosuke – für ihren Sohn – gestorben bin, wird sie mir verzeihen, nicht wahr?»
    «Es zählt nicht zu meinen Gewohnheiten, blinde Absolution zu erteilen, Munisai», erwiderte Dorinbo leise.
    «Aber sie muss es tun. Ein Tod für einen Tod – das Karma ist wieder ausgeglichen.»
    «Es geht doch hier nicht einfach nur um Mathematik, Bruder», sagte Dorinbo und seufzte halb gereizt, halb mitleidig. «Sage mir: Opferst du dich tatsächlich, um Buße zu tun? Oder sagst du das nur, und in Wirklichkeit tötest du dich, weil es den Stolz befriedigt, der tief in deiner Seele wohnt?»
    «Wovon redest du? Nein, so ist es nicht.»
    «Deine Seele gehört dir allein, und nur du weißt, was in ihren Tiefen vor sich geht. Aber ich habe dich gestern Abend und heute mit einem wehmütigen Lächeln auf dem Gesicht herumgehen sehen, als ginge rings

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