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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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um dich her ein großes, episches Gedicht seinem Ende entgegen. Als wäre alles … in bester Ordnung. Und ich weiß nicht, was ich aus diesem Lächeln ablesen soll: Opfermut oder Hochmut.»
    «Ich bin meiner Sache sicher.»
    «Wenn du so sicher bist, dass es sich um ein Opfer handelt, dann erkläre mir weiter: Hast du in all den Jahren seit jener Nacht auch nur ein einziges Mal Scham verspürt oder das Bedürfnis, Buße zu tun, wenn du an all die Bauern dachtest, die du außer Yoshiko noch ermordet hast?»
    «Ich …», begann Munisai, doch dann fehlten ihm die Worte.
    Nein, das hatte er nicht. Kurz drehte sich ihm alles. Der Mönch hatte es ganz beiläufig ausgesprochen, ohne bei seiner Arbeit innezuhalten. Munisai fragte sich, ob die letzten Momente all der Männer, die er getötet hatte, sich auch so angefühlt hatten: ein hilfloses Starren auf den meisterhaften, verhängnisvollen Schlag, ausgeführt mit scheinbar vollkommener Leichtigkeit.
    «Yoshiko wird mir vergeben», sagte Munisai und schüttelte den Kopf. Er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen, daher schob er die Gedanken des Mönchs beiseite. «Sie muss.»
    «Ich hoffe es wirklich», sagte Dorinbo. «Es ist nicht an mir, ein solches Urteil zu fällen – das überlasse ich höheren Stellen, und denen wirst du ja heute gegenübertreten. Sie werden allerdings weit strenger richten als ich, also zeige dich aufrichtig, Bruder.»
    Dann zog der Mönch die letzten Knoten fest und stellte sich einige Schritte vor Munisai, um sein Werk zu begutachten. Er nickte zufrieden und nahm das große Übergewand zur Hand.
    «Dessen ungeachtet: Danke, Munisai. Bennosuke wird gut aufgezogen werden.»
    «Das wurde er ja auch bisher schon», erwiderte Munisai. «Ich danke dir dafür – und überhaupt für alles.»
    Dorinbo hielt ihm das Übergewand hin, und Munisai schlüpfte hinein. Es war ebenfalls blütenweiß und hatte mächtige, mit Bambusstreben ausgesteifte Schultern, die seine wahre Statur verbargen. Dorinbo band ihm die weiße Schärpe um die Taille und legte ihm dann auf der linken Seite wie üblich die beiden Schwerter an. Damit war Munisai fertig. Jetzt blieb ihm weiter nichts mehr, als zu sterben.
    Das wussten sie beide. Sie sahen einander schweigend an, und dann verneigte sich Dorinbo. Er ging zur Haustür und schob sie auf. Der nachmittägliche Sonnenschein strömte herein, und der Mönch atmete tief durch, während er sich davon umfangen ließ. Staubkörnchen tanzten im Licht.
    «Wäre mein Arm jemals wieder geheilt?», fragte Munisai, und sei es auch nur, um die Stille zu durchbrechen. Der Mönch sah aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber.
    «Nein», sagte er. «Nicht ohne einen Segen der Götter.»
    Das war nicht lustig, aber sie lachten trotzdem, denn es war besser, einander so in Erinnerung zu behalten als mit der Kälte, die zwischen ihnen geherrscht hatte. Plötzlich empfand Munisai dafür ein überwältigendes Bedauern, ebenso wie für all die Jahre der Trennung. Doch das war sinnlos und schnell wieder verflogen. Als dann das Lächeln auf ihren Lippen erstarb, hob Dorinbo eine Hand und wies zur hoch am Himmel stehenden Sonne empor.
    «Amaterasu sieht zu», sagte er. «Stirb einen guten Tod, Munisai.»
    «Das werde ich.»
    Sie verneigten sich voreinander, dann ging der Mönch hinaus. Dorinbo würde bei dem Seppuku nicht zugegen sein. Wenn er Munisai das nächste Mal sah, würde sein Leib erkaltet und seine Seele entschwunden sein, um sich dem Urteil zu stellen, das er nicht zu fällen vermochte.
    * * *
    Kazuteru näherte sich Munisais Haus mit einer gewissen Beklommenheit. Eine große Bürde war ihm aufgeladen. Er blieb stehen, überprüfte seinen Kimono, sah nach, ob seine Hände auch sauber waren, prüfte sogar, ob sein Atem schlecht roch. Doch seit seinem letzten Halt dreißig Schritte zuvor hatte sich nichts geändert.
    Das Tor in der Mauer des Gutshofs stand offen. Kazuteru hielt es nicht für nötig, anzuklopfen; Munisai würde erwarten, dass jemand zu ihm kam – wenn auch nicht unbedingt er. Schweigend betrat er den Hof und sah seinen Heerführer dort stehen. Er stand mit dem Rücken zu ihm und betrachtete einen Baum.
    «Herr», sagte er, sank auf ein Knie und verneigte sich. Munisai wandte sich zu ihm um. Die aufgespannten breiten Schultern seines weißen Obergewands wirkten wie Schildkrötenpanzer. In der Hand hielt er ein trockenes violettes Blatt.
    «Kazuteru?», sagte er nach kurzem Zögern.
    «Jawohl, Herr», erwiderte der, und das bisschen

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