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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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erste Halbjahr 1905 resümieren: »Es ist dies ein riesenhaftes buntes Bild einer allgemeinen Auseinandersetzung
     der Arbeit mit dem Kapital, das die ganze Mannigfaltigkeit der sozialen Gliederung und des politischen Bewußtseins jeder Schicht
     und jedes Winkels abspiegelt und die ganze lange Stufenleiter vom regelrechten gewerkschaftlichen Kampf einer erprobten großindustriellen
     Elitetruppe des Proletariats bis zum formlosen Protestausbruch eines Haufens Landproletarier und zur ersten dunklen Regung
     einer aufgeregten Soldatengarnison durchläuft, |252| von der wohlerzogenen, eleganten Revolte in Manschetten und Stehkragen im Kontor eines Bankhauses bis zum [wirren,] scheu-dreisten
     Murren einer klobigen Versammlung unzufriedener Polizisten in einer verräucherten, dunklen und schmutzigen Polizeiwachtstube.« 93
    Politische Schulung, Klassenbewußtsein und Organisation in hohem Grade seien nötig, wenn alte Machtstrukturen wie der Absolutismus
     in Rußland zerstört werden sollten. Sie könnten »aus der lebendigen politischen Schule, aus dem Kampf und im Kampf, in dem
     fortschreitenden Verlauf der Revolution« 94 intensiver vermittelt werden als durch Broschüren und Flugblätter. In jedem historischen Fall zeige sich, daß Streikausbruch
     und sozialdemokratische Agitation einander bedingten. Allerdings könne ein altes Regime erst gestürzt werden, wenn Klassenspaltung
     und -reife der bürgerlichen Gesellschaft genügend ausgeprägt seien.
    Mit beißendem Spott gegen massenstreikfeindliche Gewerkschaftsführer zog Rosa Luxemburg aus ihren Beobachtungen über die Entwicklung
     von Arbeiterausschüssen in den größten Fabriken aller wichtigen Industriezentren und über einfallsreiche Organisationsarbeit
     den Schluß: »Madame Geschichte dreht den bürokratischen Schablonenmenschen, die an den Toren des deutschen Gewerkschaftsglücks
     grimmige Wacht halten, von weitem lachend eine Nase. Die festen Organisationen, die als unbedingte Voraussetzung für einen
     eventuellen Versuch zu einem eventuellen deutschen Massenstreik im voraus wie eine uneinnehmbare Festung umschanzt werden
     sollen, diese Organisationen werden in Rußland gerade umgekehrt aus dem Massenstreik geboren!« 95 Beispiele über Beispiele führte sie an, wann, wo und wie Gewerkschaften entstanden, weil Arbeiter die Bedeutung der Organisation
     begreifen und schätzen lernten, selbst unter den eigenartigen Bedingungen eines zugleich gesetzlichen und ungesetzlichen Status
     des Gewerkschaftslebens nach den Oktober- und Dezemberstreiks und dem Ende der kurzen »Verfassungsperiode«.
    Die mögliche Eskalation von Generalstreiks zu offenen Aufständen erkannte Rosa Luxemburg genauso an wie die vorläufige Erschöpfung
     politischer Massenstreiks 1906, als die mit |253| den Dumawahlen eingeleitete liberale Periode ausklang, obwohl die Bedingungen für den Übergang zu einem allgemeinen Volksaufstand
     noch nicht herangereift waren.
    Rosa Luxemburg betonte die Milderung und Zivilisierung der Klassenkämpfe durch die Kultur und die menschenwürdige Zielstellung
     der Revolution. Im Unterschied zu früheren Revolutionen mit Barrikadenschlachten sei mittlerweile die unblutige Aktion der
     Massen für den Revolutionsverlauf ausschlaggebend, Barrikadenschlachten wären lediglich die Folge von Provokationen. Die russische
     Revolution, in der sich erstmalig solche Tendenzen gezeigt hätten, verdiene daher nicht allein Bewunderung und Solidarität.
     Sie solle vor allem als ein Abschnitt sozialer und politischer Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung und anderer
     Bevölkerungsschichten verstanden werden.
    In den ersten Kapiteln dieser Schrift bewies Rosa Luxemburg, wie genau sie das Ticken der »Uhr der Revolution«, die Zeit-
     und Bedingungsfaktoren für eine Revolution mit Arbeitermassen in Aktion, wahrzunehmen vermochte. Feliks Tych hat auf diese
     Erkenntnisse mit Recht u. a. seine These vom hohen Stellenwert der Revolutionserfahrung 1905 bis 1907 für Rosa Luxemburgs
     politische Philosophie gegründet. 96 Sie war der festen Überzeugung, eine sozialistische Revolution könne und dürfe keine Minderheitsrevolution sein. Im Unterschied
     zu Lenin sah sie 1905/06 keine Möglichkeit, diese bürgerlich-demokratische Revolution auch nur ansatzweise in die sozialistische
     Revolution überzuleiten. In ihrer Broschüre »Über die Konstituante und die Provisorische Regierung«, die sie in polnischer
     Sprache 1906 veröffentlichte, empfahl

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