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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Gutsbesitzer und der Bourgeoisie als
     durchweg nationalistisch, ja nicht selten als reaktionär bezeichnete und damit das Verlangen nach einem selbständigen polnischen
     Staat ignorierte.
    Nachdem der Österreicher Otto Bauer 1907 sein Buch »Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie« veröffentlicht hatte,
     belebte sich die seit Jahren vor allem in der österreichisch-ungarischen, in der polnischen und in der russischen Sozialdemokratie
     geführte Auseinandersetzung über das nationale Selbstbestimmungsrecht neu. Für die deutsche Sozialdemokratie war neben den
     Beziehungen zu Polen, Dänen und Elsässern die »Vaterlandsverteidigung« ein besonderer Streitpunkt, seit Gustav Noske in seiner
     Jungfernrede im Reichstag 1907 die Wehrhaftigkeit des Deutschen Reiches befürwortet hatte und in Führungskreisen der Partei
     damit auf Verständnis gestoßen war. Empört wandten sich Clara Zetkin und Karl Kautsky in Debatten und Publikationen über Sozialdemokratie,
     Kolonialismus und Patriotismus gegen Verletzungen des internationalistischen Prinzips.
    »Ewig-gültige« Formeln gebe es nicht, lautete Rosa Luxemburgs Ausgangsthese 1908/09. Der materielle Inhalt und politische |311| Wert von Kategorien wie »Demokratie«, »bürgerliche Freiheit« und »Gleichheit« verändere sich ebenso fortwährend wie die gesellschaftlichen
     Bedingungen. So sage auch die Formel »Selbstbestimmungsrecht der Nationen« entweder gar nichts aus, oder aber sie meine die
     bedingungslose Verpflichtung der Sozialisten zur Unterstützung aller nationalen Bestrebungen – und dann sei sie ganz falsch
     und utopisch. 232
    Die Großstaaten der Neuzeit verurteilten die Masse kleiner und kleinster Nationalitäten zu politischer Schwäche. Der kapitalistische
     Imperialismus habe Holland und England den »Nationalstaat« überspringen und Kolonialstaaten schaffen lassen. Auf allen Erdteilen
     zeige sich, »wie wenig sich die moderne kapitalistische Entwicklung mit einer wirklichen Unabhängigkeitsbestrebung aller Nationalitäten
     vereinbaren läßt« 233 . Die koloniale Annexion dürfe man nicht wie Eduard David und van Kol als zivilisatorische Mission der europäischen Völker
     bewerten und von der Nationalitätenfrage trennen. Auch die Kolonialvölker hätten eine Nationalität, betonte Rosa Luxemburg,
     und das Recht auf nationale Selbstbestimmung müsse weltweit anerkannt werden. 234
    Wieder verwies sie auf ihren Kerngedanken: Die Formel vom nationalen Selbstbestimmungsrecht reiche nicht aus, weil sie das
     Phänomen der Klassengesellschaft ignoriere. Nationale Bewegungen seien normalerweise Klassenbewegungen, die nur in einem gewissen
     Grad die Interessen aller Volksschichten wahrnehmen, denn letztlich stünden sich in einer Nation unterschiedliche Klasseninteressen
     entgegen.
    »Autonomie« war für Rosa Luxemburg eine Grundvoraussetzung zur Lösung von Nationalitätenfragen. Verteidigung der geistigen
     Kultur einschließlich des Rechts auf die Muttersprache und auf die Sicherung politischer Selbstverwaltung betrachtete sie
     als wesentliches Element der Autonomie von Nationalitäten in einem multinationalen Staat. Ansätze zur Verwirklichung von autonomen
     Rechten konnte sie sich 1908/09 durchaus im Rahmen einer bürgerlich-demokratischen Republik vorstellen, zu deren Kodex die
     bürgerliche Gleichberechtigung von Nationalitäten gehören müsse. Erst durch Aufhebung der Klassengesellschaft könnten jedoch
     gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen werden, unter denen die »höchsten allmenschlichen |312| Ideale« zu realisieren wären. »Mit einem Wort, die Gesellschaft gewinnt erst dann die faktische Möglichkeit der freien Bestimmung
     über ihre nationale Existenz, wenn sie die Möglichkeit der bewußten Bestimmung über ihre wirtschaftliche Existenz, über ihre
     Produktionsbedingungen haben wird. Die ›Nationen‹ werden dann ihr historisches Dasein beherrschen, wenn die menschliche Gesellschaft
     ihren gesellschaftlichen Prozeß beherrscht.« 235
    Auch der häufig gebrauchte Begriff des »Volkes« müsse kritisch betrachtet werden. »Aber wer ist denn das ›Volk‹, wer ist der
     Mächtige, wer hat das ›Recht‹, der berufene Vertreter des ›Volkes‹ und seines Willens zu sein? Wie erkennt man, was das ›Volk‹
     wirklich will? Gibt es denn eine politische Partei, die nicht behaupten würde, gerade sie sei entgegen allen anderen die wahre
     Vertreterin des ›Volkswillens‹, während alle anderen nur den

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