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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Bernstein in dem Artikel »Der Kampf der Sozialdemokratie und die Revolution der Gesellschaft« aus
     der jüngsten Entwicklungsphase des Kapitalismus, dieser sei wandlungs- und anpassungsfähig und objektive Gesetzmäßigkeiten
     der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus gäbe es nicht. Der Marxismus müsse revidiert, seines utopischen und dogmatischen
     Charakters entkleidet und weitergeführt werden. Er gestehe es offen, schrieb er, er »habe für das, was man gemeinhin unter
     ›Endziel des Sozialismus‹ versteht, außerordentlich wenig Sinn und Interesse. Dieses Ziel, was immer es sei, ist mir gar nichts,
     die Bewegung alles. Und unter Bewegung verstehe ich sowohl die allgemeine Bewegung der Gesellschaft, d. h. den sozialen Fortschritt,
     wie die politische und wirtschaftliche Agitation und Organisation zur Bewirkung dieses Fortschritts.« 43
    In der »Sächsischen Arbeiter-Zeitung« in Dresden verteidigte Parvus, der dort als Chefredakteur fungierte und mit Julian Marchlewski
     zusammenarbeitete, in einer Artikelserie den Marxismus und versuchte, die Voraussetzungen und Aufgaben der proletarischen
     Revolution aus den neuen Entwicklungsbedingungen zu begründen. Als Parvus glaubte, den Bernsteinschen Revisionismus ausreichend
     charakterisiert zu haben, forderte er in einem offenen Brief an die Redaktion der »Neuen Zeit« die Stellungnahme Kautskys. 44
    Im Juli 1898 begann Karl Kautsky mit einem von Clara Zetkin übersetzten Artikel Plechanows, »Bernstein und der Materialismus«,
     in der theoretischen Zeitschrift der Sozialdemokratie offiziell die Bernsteindebatte. Vom Artikel Plechanows »sind Sie wahrscheinlich
     ebenso überrascht wie ich und die |94| Mehrheit der Menschheit«, schrieb Rosa Luxemburg an Boris Kritschewski nach Paris.
»Was wollte der gute Mann?«
Nach ihrer Meinung saß er »in der Tinte« und hatte anscheinend bereits »Verstopfung« bekommen. 45 »Wie hochnäsig dieser Aufschneider ist!« 46 bemerkte sie in bezug auf Plechanows Erinnerung an ein philosophisches Gespräch mit Friedrich Engels. In der Philosophie
     war Rosa Luxemburg weniger bewandert als in der Ökonomie, und sie hielt sie auch nicht für den wichtigsten Ansatzpunkt in
     der Polemik gegen Bernstein. Dementsprechend fielen ihre Urteile über die Wortmeldungen anderer aus. Franz Mehrings Repliken
     in der »Leipziger Volkszeitung« vom 10. März 1898 bezeichnete sie als »schauderhafte Erbärmlichkeit«. 47 Die Artikel in den »Sozialistischen Monatsheften« wären selbstverständlich unter jeder Kritik. »Offenbar wartet ›ganz
Germania
‹ tatsächlich auf unser erlösendes Wort«, schrieb sie betont selbstbewußt an Leo Jogiches. 48
    Jetzt wollte sie zeigen, wer sie ist und was sie kann. Sie hatte schon in Zürich mit Leo Jogiches über eine Auseinandersetzung
     mit Bernstein nachgedacht, Passagen für eine Polemik entworfen und Materialien gesammelt. Nun, da sie sich direkt in die Bernsteindebatte
     einmischen wollte, war sie unsicher: »man weiß nicht, wo man zuerst anbeißen soll« 49 . Eindringlich bat sie Leo Jogiches um Hilfe: »Am schwierigsten sind zwei Punkte: 1. über die Krisen, 2. der positive Beweis,
     daß der Kapitalismus sich den Schädel zerschmettern muß, was meines Erachtens unvermeidlich ist, und das ist nicht mehr und
     nicht weniger als eine kurze Begründung neuer Art des wissenschaftlichen Sozialismus. Hilf, um Gottes willen, bei diesen beiden
     Punkten! Und es gilt, schnell zu arbeiten, 1. darum, weil die gesamte Arbeit überhaupt umsonst sein wird, wenn uns jemand
     zuvorkommt, 2. man muß sich die meiste Zeit für das Ausfeilen lassen.« 50 Sie erbat sich Bücher, besonders das »Kapital« von Karl Marx, sammelte Daten über Krisen und Kartelle und abonnierte weitere
     Zeitungen. Sie animierte Leo Jogiches, Passagen zu einzelnen Aspekten zu entwerfen, z. B. über die Gewerkschaften. Sie wachse
     zwar jede Stunde in Berlin mehr als in Zürich in einem Jahr, dennoch komme sie nur langsam voran. Besuche der Schwester, des
     Bruders mit Familie, der Cousine und Magenbeschwerden, die auf |95| nervöse Störungen zurückzuführen waren, hinderten sie am konzentrierten Arbeiten. Andererseits machte sie das Zusammensein
     mit ihrer Schwester glücklich, sie liebte Anna und entdeckte in ihr einen prächtigen Menschen. Obendrein verdankte sie ihr
     mehrere neue Kleidungsstücke.
    Rosa Luxemburg mobilisierte all ihre Kräfte, sollte doch ihre Stellungnahme gegen Bernstein wie ein Blitz

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