Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
Vom Netzwerk:
war vor allem der große Schreibtisch. Die Wirtsleute erwiesen sich als nett. Doch erneut verlebten Rosa Luxemburg
     und Leo Jogiches die Weihnachtstage und den Jahreswechsel nicht gemeinsam. Noch immer war nicht abzusehen, wann sie beide
     zusammen wohnen und sich auch öffentlich als Paar zu erkennen geben würden. Die Liebesbande waren nicht zerrissen. Leo Jogiches
     war der einzige Mensch, dem Rosa Luxemburg alles berichten konnte, was sie Neues erlebte, was sie betroffen machte, was sie
     zu beherrschen |138| meinte. Sie tauschten ihre Meinungen über Menschen, Ereignisse, Bücher, Rezensionen aus. Auf sein Urteil allein lege sie Wert.
     Er wisse doch genau, daß so wie er niemand auf der Welt kritisiert. Dankbar nahm sie seine finanzielle Unterstützung in Anspruch.
     In den zurückliegenden Debatten mit Bernstein, Schippel, Heine u. a. hatte er ihr mit Ideen, theoretischen Erörterungen, taktischen
     Erwägungen, Einschätzungen und direkten Problemaufrissen geholfen. Doch sein Zögern, nach Berlin nachzukommen, wurde ihr zunehmend
     unerträglicher. Sie wollte endlich immer in seiner Nähe sein. Sie sei »eigentlich ein gewöhnlicher Kater«, schrieb sie, »der
     es mag, gestreichelt zu werden und andere zu streicheln« 183 . Anfänglich, bis Mai 1899, war die fehlende deutsche Staatsbürgerschaft für Jogiches ein Hauptgrund, noch in Zürich zu bleiben;
     danach war es die, wie sich bald herausstellte, noch gar nicht richtig begonnene Dissertation. Es gab kaum einen Brief, in
     dem sie ihn nicht bedrängte, zügig zu arbeiten. In den Sommerferien, die sie im Juni und Juli 1899 in Schlößli am Zürichberg
     genossen, in denen sie sich mit Güte und Sanftmut verwöhnten, ohne gänzlich auf Streitereien verzichten zu können, hatte Leo
     Jogiches ihr schließlich offenbart, daß es ihn nicht nach Berlin zog. Er fand es klüger, zwischen Zürich und einer Stadt etwa
     wie München, Hamburg oder Heidelberg im Halbjahreswechsel zu pendeln. Rosa Luxemburg war völlig verstört. Ungeduldig bestand
     sie darauf, endlich definitiv zu entscheiden, wie sie sich von der Qual ihrer Wirrnisse erlösen wollten, wie sie als vernünftige
     Menschen nicht nur der Wissenschaft und der Parteipolitik frönen, sondern auch Geld verdienen könnten, ein wohliges Zuhause
     fänden und die materiellen Verhältnisse schufen, die es dann auch erlaubten, ein Kind anzunehmen. »Weißt Du, es ist wirklich
     so«, äußerte sie am 17. Dezember 1899 zu Leo, »wo keine Kinder sind, gibt es keine Feiertage und eigentlich auch kein Familienleben.« 184
    In anderer Stimmungslage ordnete sie ihr sehnlichstes Verlangen in ganz anderer Richtung ein. »Ich fürchte«, schrieb sie an
     Mathilde und Robert Seidel am 30. Dezember 1899, »daß ich je weiter, je mehr die menschliche Gesellschaft entbehren kann und
     mich ganz in mich selbst verkrieche. Ich weiß, daß dies nicht normal ist, aber ich weiß nicht – ich habe immer in |139| mir selbst so viel Stoff zum Nachdenken und Durchleben, daß ich nie die Leere fühle.« 185
    Seitdem Rosa Luxemburg in der deutschen Sozialdemokratie ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken begann und sie sich über
     ihre Debüts in verschiedenen Bereichen freuen konnte, wuchsen ihr Selbstbewußtsein und ihr Geltungsbedürfnis. Selbstgesteckte
     anspruchsvolle Ziele kollidierten zuweilen mit dem ganz privaten Bedürfnis, Stunden für sich allein und rein persönliche Interessen
     zu haben. Geriet sie bei dem Versuch, allem gerecht zu werden, an physische Grenzen und aus dem seelischen Gleichgewicht,
     ließ sie ihr Unbehagen engste Vertraute ziemlich deutlich spüren.
    Öfter als sonst gebärdete sich Rosa Luxemburg gegenüber Leo Jogiches maß- und taktlos. Sie mokierte sich über zu trockene,
     zu kurze und zu wenige Briefe, warnte ihn, daß seine Frau mit der Zeit einen Mann hätte, der dümmer sei als sie, warf ihm
     zu geringes Gespür für die Berliner Atmosphäre vor und schimpfte wegen zu unpraktischer Ratschläge. Sie entnehme seiner Korrespondenz
     gewaltige Unlust. Ihr einziger Inhalt sei ein langweiliges Mentorentum, wie es üblicherweise Lehrer mit dem Schüler betreiben.
     Er denke überhaupt nicht mehr daran, ihr aus seinen Arbeiten etwas zur Kritik vorzulegen oder Hinweise von ihr zu befolgen. 186
    Nach dem Parteitag in Hannover reagierte sie auf seine Hinweise mehrfach unbeherrscht. Sie seien so dumm, daß sie nicht darauf
     antworten könne. »Alles ist irgendwie so doktrinär überzüchtet […]

Weitere Kostenlose Bücher