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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Konflikte mit ihrem Geliebten
     wie mit ihrer Familie in Kauf genommen hatte, steigerte sich nach dem furiosen Start in der Sozialdemokratie ihr Verlangen
     nach einer Lebensweise, die allseitiges Glück verhieß. Sie wollte viel erleben und alles erreichen, was sie sich in den Kopf
     gesetzt hatte, und in keiner Weise bevormundet werden. Das ewige Getrenntsein und zermürbende Herumreisen empfand sie zunehmend
     als lästig. Sie verabscheute förmliche Rituale, sei es im Umgang mit anderen Familien, mit Wirtsleuten ihrer Unterkünfte oder
     mit Genossen in Redaktionen und Parteiorganisationen. Jäh wechselte bei Rosa Luxemburg ein fast unbezähmbares Anlehnungsbedürfnis
     mit dem rigorosen Verlangen nach uneingeschränktem Recht auf Selbstbesinnung im Alleingang. Manch unliebsamer Zug ihrer ausgeprägten
     Individualität gab anderen Menschen Anlaß, sie zu kritisieren oder sich mit ihr zu überwerfen. »Das erinnert mich |142| an etwas, was ich einmal gelesen habe«, schrieb ihr Vater mit Recht entsetzt, »daß der Adler sich hoch erhebt, also sieht
     er nicht, was auf der Erde geschieht.« Zornig resignierte er: »Du bist mit sozialen Fragen befaßt, und die häuslich-familiären
     Angelegenheiten sind sogar vom zweiten Platz gerückt, naja, was tun! ich muß auch das annehmen, denn offensichtlich fehlte
     noch ein Tropfen Wermuth im Kelch. Ich kann Dich mit meiner Korrespondenz nicht mehr belasten. Bleib gesund. Dein Dich liebender
     Vater EL.« 195 Ob und wie Rosa Luxemburg auf den verbitterten Brief des Vaters reagierte, ist unbekannt.
    Was um sie herum geschehe, betrachte sie nicht plan- und gedankenlos, versicherte sie Leo Jogiches, der ihr vermutlich Ratschläge
     zum Umgang mit anderen Menschen gegeben hatte. Sie verfolge als obersten Grundsatz, »stets ich selbst zu sein, ganz ohne Ansehen
     der Umgebung und der anderen. Ich jedoch bin Idealist und will es bleiben, sowohl in der deutschen als auch in der polnischen
     Bewegung. Das bedeutet natürlich nicht, daß ich die Rolle eines tugendsamen Esels zu spielen beabsichtige, der für andere
     arbeitet; sicher, ich will und werde nach einer möglichst einflußreichen Stellung in der Bewegung streben, aber das steht
     nicht im geringsten dem Idealismus entgegen und braucht mich nicht dahin zu drängen, andere Mittel als meine eigenen ›Talente‹
     einzusetzen, sofern ich welche besitze.« 196
    Leo Jogiches dagegen wisse manchmal selbst nicht, was er wolle, gäbe ihr sich widersprechende »Order«, sei ein unverbesserlicher
     Diplomat, ewiger Konspirator und ein zuweilen unausstehlicher Besserwisser. Sobald er für immer in Berlin sein könne, ließen
     sich Mißhelligkeiten zwischen ihnen weitgehend vermeiden. Dann sei vieles leichter, selbst wenn die anstehenden Arbeiten stets
     vor die Einrichtung eines eigenen Haushaltes gestellt werden müßten, nach der sie noch vor Monaten regelrecht gelechzt hatte.
     »Sofort zusammen wohnen k ö n n e n wir jedoch vom Augenblick Deiner Ankunft an,« versicherte sie ihm, »denn bei meiner Wirtin ist seit je ein zweites (kleines)
     Zimmer zu vermieten, und Du nimmst es ebenso mit Pension wie ich. Auf diese Weise werden wir ständig zusammensein. Ich stelle
     Dich als meinen Cousin vor, und ich genieße so großes Ansehen bei den Wirtsleuten und im ganzen |143| Haus, daß das keinen Anlaß für irgendwelchen Klatsch oder Vermutungen geben wird.« 197 Bis dahin verging allerdings noch viel Zeit, denn Leo Jogiches zog erst Anfang August 1900 nach Berlin.

Endlich etwas Polnisches!
    Vor dem Allein- und Getrenntsein floh Rosa Luxemburg Ende 1899 in die Agitation für die deutsche und polnische Sozialdemokratie
     nach Oberschlesien. Nachdem sie am 24. Dezember zweimal Weihnachten gefeiert hatte, ein paar Stunden mit der Familie Kautsky
     und danach mit ihren Wirtsleuten, begab sie sich am 25. Dezember bis Silvester auf Tour. Eigentlich hätte sie voraussehen
     müssen, daß an diesen Tagen nicht allzuviel zu bewerkstelligen war. Sie fiel von einer Überraschung in die andere. Der Zug
     kam mit Verspätung in Beuthen an, keiner holte sie am Bahnhof ab. Bei August Winter, der Ende 1898 das oberschlesische Arbeitersekretariat
     gegründet hatte und Bevollmächtigter der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands und des Vorstandes der Sozialdemokratischen
     Partei für Agitation und Organisation in Oberschlesien war, traf sie nur das Dienstmädchen an. Am nächsten Tag erschien der
     Kontaktmann aus Kattowitz nicht.

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