Rosa
aufzuzählen.«
Ich grinste.
»Ich weiß es ganz genau«, sagte sie dickköpfig.
»Und sonst? Es ist eine Pumpe, mehr nicht. Du hast Arin Reiders Vorstellung übernommen, dass es eine Frau sein müsse, weil sie sich eine Tochter zurückwünscht.«
Nel stand auf. »Ich mache mich aber erst morgen an die Arbeit, ich weiß zu wenig über Transplantationen.«
Ich wollte nicht, dass sie allein zu Hause hockte. »Die Feldforschungen betreiben wir gemeinsam«, beschloss ich.
»Außer an den Wochenenden«, erwiderte sie. »Da bin ich nämlich in Groningen.«
»Wenn wir den Auftrag schnell ausführen, schaffen wir es noch, nach Andalusien zu fahren.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte sie. »Wir haben diesen Fall und außerdem habe ich heute Nachmittag eine Einladung zu einer Konferenz über Musikpiraterie erhalten, nächste Woche Donnerstag und Freitag, in Breda. Da möchte ich gerne hin, dann kann ich am Samstag wieder in Groningen sein und am Montag Hanna mit nach Hause nehmen.« Sie wirkte plötzlich unsicher. »Ob ich nochmal kurz anrufen soll?«
»Unsinn, es ist fast zwölf Uhr, die schlafen alle schon.«
Trotzdem ging sie an meinen Schreibtisch statt ins Badezimmer.
»Nel!«, sagte ich, doch sie ließ den Hörer auf der Gabel liegen, drehte den Apparat um und fuhr über das kleine Rädchen auf der Unterseite.
»Ich stelle die Klingel ganz laut«, erklärte sie. »Sonst hören wir das Telefon oben nicht.«
Am liebsten hätte sie wahrscheinlich auf dem Boden neben dem Apparat geschlafen. Ich räumte die Gläser weg und dachte bei mir, dass dieser unerwartete Herz-Auftrag die perfekte Ausrede für mein Muttertier darstellte – von morgen an würde der Süden Spaniens in unüberbrückbare Ferne gerückt sein. Hoffentlich gewöhnte sie sich nicht erst in achtzehn Jahren an den Gedanken, dass Töchter ihre eigenen Wege gehen.
Ich schaltete das Licht aus und durch die Terrassentüren war wieder der helle Nachthimmel zu sehen. Der Mond war westwärts gewandert und sah ganz normal aus, ohne diesen unheimlichen Schicksalskreis.
6
Die Adresse in Beusichem erwies sich als umgebauter Bauernhof hinter knorzigen Linden entlang einer Straße, die zum Deich an den Überschwemmungsgebieten des Leks hinaufführte. Die imposante Eingangstür wurde von hohen Fenstern mit dunkelgrünen Läden flankiert.
Ich parkte meinen BMW im Schatten der Linden und fuhr dann noch einen Meter weiter, weil Nel sonst nicht hätte aussteigen können. Sie sah heute sehr weiblich aus in ihrem blauen Sommerkleid und dem fuchsiafarbenen Pullover, den sie um die Schultern gelegt hatte. Seit wir in Rumpt wohnten, holte sie ihre schwarzen Jeansanzüge nur noch aus dem Schrank, wenn wir irgendwo einbrechen mussten oder hinter zwielichtigem Volk her waren.
Niemand reagierte auf das Läuten der altmodischen Zugklingel. Vielleicht ging es in diesem Dorf genauso zu wie in unserem gemütlichen Rumpt, wo nur Steuerfahnder noch so weltfremd waren, an der Vordertür zu schellen. Wir hatten die Linge, hier hatten sie den Lek und eine Viehfutterfabrik, die ziemlich viel Lärm machte und die leichte Sommerbrise mit gärender Pulpe würzte.
»Vielleicht ist Nummer zwei auch gestorben«, murmelte ich.
»Nach drei Jahren sind achtzig Prozent noch am Leben«, erwiderte Nel.
»Wir erwischen öfter die falsche Seite der Statistik.«
CyberNel gehörte einer weltweiten Bruderschaft von Hackern und Cybernauten an, die sich Hintertürchen in hunderten von Institutionen und Betrieben offen hielt.
Sie spielten sich Hinweise über Websites zu, zu denen gewöhnliche Sterbliche nie im Leben Zugang fanden. Nicht einmal die genialen Freimaurer hatten es geschafft, in die hermetisch abgesicherte aktuelle Warteliste der Herzpatienten einzudringen, aber Nel war es nach viel Herumprobiererei mit ihrem deutschen HackMac-Programm und mithilfe eines Pflegers, der dicht bei der NTS-Quelle saß, gelungen, aus gelöschten Daten die Liste vom 1. Januar 2001 zu rekonstruieren. Der Unfall war am 4. Januar geschehen, daher durften wir annehmen, dass der Empfänger von Rosa Sirouns Herz ganz weit oben auf dieser Liste gestanden hatte.
Frederik Lessing aus Zevenaar war am 6. Januar 2001 in einem Arnheimer Krankenhaus gestorben. Nel fand heraus, dass sein Tod infolge eines Stillstands seines eigenen Herzens eingetreten war und nicht aufgrund einer missglückten Transplantation. Lessing war also aus irgendeinem Grund übergangen worden.
Die Zweite auf der Liste war Barbara Maria
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