Rosa
verschlossen. Ich beleuchtete die Scheibe, um meine Hand unverletzt durch die Glasscherben hindurchzuschieben, und fühlte einen Schlüssel im Schloss.
Merkwürdig.
Ich drehte den Schlüssel, drückte die Tür auf und vermied es, auf das Glas zu treten. Ich sah eine blaue Zündflamme und ließ meine Lampe durch eine kalte Küche wandern, in der gelb gestrichene Schränke über einer altmodischen Marmoranrichte sowie ein Gasboiler hingen. Die Tür zum Flur stand offen. Hier wohnte keine Familie mit Kindern, eher ein älteres Ehepaar. Der Flur roch muffig, eine unangenehme Mischung aus frischem Bohnerwachs und altem Verputz, Abfluss, WC, Verfall. Einsamkeit.
Ich blieb stehen und lauschte. Durch die geschlossenen Gardinen und die Entfernung zur Straße war die Gefahr gering, dass die Nachbarn oder Passanten Licht bemerken würden, trotzdem ließ ich die Finger von den Schaltern und beschränkte mich auf meine Taschenlampe. Ich hörte nichts. Die Tür zum großen Wohnzimmer mit den Erkern stand offen. Die Einbrecher waren garantiert nicht mehr im Haus. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Ehepaar nach einem Einbruch den Schlüssel unter einer kaputten Scheibe an der Hintertür hatte stecken lassen und unbekümmert zu Bett gegangen war, aber ich konnte keine Überraschungen gebrauchen und kontrollierte zuerst das obere Stockwerk.
Die Stufen waren von einem Läufer mit Treppenstangen aus Kupfer bedeckt und knarrten kaum. Ich öffnete vorsichtig die Türen der Schlafräume und des Badezimmers. Zwei der Zimmer wurden offenbar nicht benutzt. Im dritten stand ein schmales Holzbett. Eine gehäkelte Tagesdecke lag ordentlich gefaltet am Fußende und die Laken und Decken waren zurückgeschlagen, als habe sich jemand zum Zubettgehen bereit gemacht. Die Gardinen waren zugezogen, aber niemand lag im Bett. Dafür hingen Kleidungsstücke über einem Stuhl und Herrenschuhe, auf denen dünne Socken lagen, standen auf dem Fußboden. Neben dem Bett ein Paar ausgetretene Pantoffeln, fertig zum Hineinschlüpfen. Seltsam. Hatte der Bewohner Geräusche gehört und war auf bloßen Füßen nachsehen gegangen?
Auch hier waren die Gardinen zugezogen und ich benutzte meine Lampe, um in den Schrank zu schauen. Einige Anzüge, Jacketts und Westen hingen darin, Krawatten an der Tür, in einem Fach lagen Hemden. Das Ganze machte einen altmodischen Eindruck, das Schlafzimmer eines älteren Mannes, eines Junggesellen oder eines Witwers, der alles, was an seine Frau erinnerte, weggeräumt hatte. Überall in diesem Stockwerk sah es sauber und ordentlich aus. Keinerlei Einbruchsspuren. Vielleicht waren sie nur unten gewesen.
Es war auch keine Spur von Victor zu sehen, und mir wurde klar, dass ich hier nichts zu suchen hatte, das hier war etwas für die örtliche Polizei. Vielleicht war die bereits hier gewesen und der Mann saß im Pyjama am Grill und erholte sich von seinem Schrecken.
Der Gestank wurde stärker, als ich die Treppe hinunterging. Es war dunkel im Wohnzimmer und ich benutzte meine Lampe. Alte Möbel, Bücherschränke, schwere Samtgardinen, ein Kaminsims, offene Schiebetüren mit Bleiglasscheiben, die zu einem Esszimmer führten. Doch der Gestank kam von rechts, wo in einer Nische ein alter Rattanschaukelstuhl stand. Ich roch Urin und verbranntes Fleisch.
Der Schein meiner Lampe fiel auf einen grauen Schädel. Ich lief um den Sessel herum und hockte mich vor den mageren Mann, der darauf gefesselt war. Er trug eine graue Wollstrickjacke über einem gestreiften Pyjama. Ich brauchte nicht an seinem Hals zu fühlen, um zu wissen, dass er tot war.
Ich hatte schon viele Verbrechensopfer gesehen, aber dieser Mann war auf eine grauenvollere Art gestorben als durch einen eingeschlagenen Schädel oder eine Kugel. Seine Handgelenke waren mit Nylonschnur an den Rattanlehnen festgezurrt, seine dünnen Knöchel an den Schaukelrundungen, die nackten Fußsohlen hoch genug, um ein Feuerzeug oder eine brennende Zigarre darunter halten zu können.
Die Brandwunden auf seinen Händen boten einen schrecklichen Anblick. Man hatte eine Flamme benutzt, denn es waren Brandspuren auf der Lehne zu sehen, aber ich sah auch Asche und eine Zigarettenkippe auf dem Teppich vor dem Stuhl. Und das typische Brandmal einer ausgedrückten Zigarette, knapp unter der linken Brustwarze. Ein Taschentuchknebel und eine Wollkrawatte lagen auf den Knien des Mannes. Die Krawatte hatte den Knebel an seinem Platz gehalten, um die Schreie zu ersticken, und war abgenommen
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