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Rosa

Rosa

Titel: Rosa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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ließ mich vorgehen.
    Statt Marmor gab es hier ein hübsches, frisch gestrichenes Holztreppengeländer und einen dicken roten Läufer mit Kupferstangen. Was sonst noch anders war, bemerkte ich, als ich das Jaulen einer Polizeisirene wahrnahm. Dieses Stockwerk war nicht schalldicht verkleidet worden und die Straßengeräusche drangen durch die Fenster und die Spalten in dem auf schwere Balken gezimmerten Speicherfußboden.
    »Hier befinden sich nur Gästezimmer und die Wäschekammer, ansonsten hatte Siroun das Stockwerk ganz für sich allein, mit eigenem Badezimmer.« Arin öffnete eine Tür und ließ mich vorausgehen. »Dies ist ihr Zimmer.«
    Ein großer Raum unter einer Balkendecke, mit zwei niedrigen Fenstern zur Gracht hin und Türen zum Bad und vor Einbauschränken. Ein normales Mädchen hätte dieses Dachgeschoss innerhalb einer Woche romantisch oder auch fröhlich gestaltet, stattdessen herrschte jedoch eine düstere, spartanische Atmosphäre. Das einzig farbenfrohe Element war eine bunte Patchworkdecke auf dem Bett. Es gab einen Schreibtisch mit geschlossenem Laptop darauf und Fächern darüber, einen Glastisch mit niedrigen Sesseln, ein Regal mit ordentlichen Reihen und Stapeln von Literatur und Schulbüchern sowie einen Kassettenrecorder. Auf dem Glastisch stand eine Vase mit getrockneten Blumen. Die düstere Stimmung entstand vor allem dadurch, dass die Wände anstatt mit lustigen Plakaten oder Bildern von Popstars mit dem großen Schwarz-Weiß-Foto eines recht unwirtlichen Tals, einem Poster mit kursiv gedruckten Gedichtzeilen sowie einer strengen Reihe großer und kleiner gerahmter Porträts berühmter Armenier bedeckt waren. Ich erkannte André Agassi, Alain Prost und Charles Aznavour, andere nur, weil die Namen darunter standen: Henri Verneuil, Aram Katchaturian, William Saroyan und andere, die mir nichts sagten, wahrscheinlich berühmte Politiker oder historische Persönlichkeiten. Vor drei Jahren hatte hier ein achtzehnjähriges Mädchen gewohnt. Das Zimmer war leer, ich fühlte nichts.
    Arin führte mein Stirnrunzeln auf Cher und Prinzessin Diana zurück, die auch dazwischen hingen. »Chers Vater war John Arkisian«, erklärte sie. Die Armenier beanspruchten sogar Prinzessin Diana für sich, die offenbar zu einem vierundsechzigsten Teil Armenierin gewesen war, dank ihrer Ururgroßmutter Eliza Kewarkian. »Daher rührte ihr beharrlicher Charakter«, behauptete Arin, wie ein Führer in einem Museum.
    Ich versuchte, mir Rosa in diesem Zimmer vorzustellen. Ich konnte kaum glauben, dass sie diese armenische Ahnensammlung aus eigenem Antrieb aufgehängt hatte. »Keine Impressionisten«, bemerkte ich.
    Arin lächelte schwach. »Ich versuchte seit jeher, sie mit unserer eigenen Kultur zu umgeben, damit sie sich ihrer Wurzeln und der Bedeutung Armeniens für uns bewusst werden konnte.«
    »Ich war immer der Meinung, Teenager wünschten sich große Teddybären und Poster von Madonna und Britney Spears in ihrem Zimmer.«
    Sie nickte. »Mit zwölf kam sie einmal mit einem Poster von so einer Punkband an. Aber solche Dinge kann ich nicht in meinem Haus ertragen.«
    Siroun hatte das ganze Stockwerk für sich. »Gab es Streit deswegen?«
    »Nein!«, entfuhr es ihr heftig. Mit einem versöhnlichen Tonfall fuhr sie daraufhin fort: »Siroun und ich hatten nur selten Meinungsverschiedenheiten, aber sie war noch sehr jung. Manchmal wurde sie von Freundinnen beeinflusse die solche Klatschzeitungen lasen und für Instant-Seifenopernstars schwärmten, doch es gelang mir ganz gut, ihr zu erklären, dass solche Dinge nicht in unsere Welt hineingehörten.«
    »Also haben Sie das Zimmer für sie eingerichtet?«
    »Sie überließ das gerne mir. Sie war Armenierin, das wurde ihr immer klarer, Blut lässt sich letztendlich nicht verleugnen.«
    Rosa musste Siroun sein, eine Projektion ihrer Mutter. »Aber sie war doch zur Hälfte Niederländerin. Sie ging zur Schule, sie hatte Freundinnen …«
    Arin schüttelte den Kopf. »Saroyan hat das auf unnachahmliche Weise ausgedrückt.« Sie wies mit einem Nicken auf das Poster mit den kursiven englischen Gedichtzeilen. »Keine Macht der Welt kann diese Rasse vernichten, man kann ihr Land verwüsten, ihre Häuser und Kirchen niederbrennen, man kann sie mit Wasser und Brot in die Wüste jagen, aber bald werden sie wieder lachen und beten und singen, denn wenn zwei von ihnen sich irgendwo auf der Welt begegnen, gründen sie ein neues Armenien.« Ihre Augen strahlten.
    »Wie schön«, sagte

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