Rosa
Kaffee. »Wie ich schon sagte, manchmal ist es lästig.«
»Wieso?«, fragte Bart mit vollem Mund.
»Diese Armenierin zum Beispiel. Sie wird zu einem Problem. Ich befürchte nämlich, dass Nel Recht hat.«
»Womit?«
»Sie reagierte schon komisch, als sie erfuhr, dass das Herz ihrer Tochter einem Mann eingepflanzt worden ist. Sie erwartete eine zwanzigjährige Reinkarnation ihrer Tochter, die sie zu ihrer Erbin machen konnte. Stattdessen kriegt sie Victor de Vries, einen halbseidenen Typen, der einen laut seinem Kollegen über den Tisch zieht, wo er nur kann. Wenn sie erfährt, dass er obendrein den Unfalltod ihrer Tochter verursacht hat, kann ich mir vorstellen, dass es mit ihren guten Vorsätzen vorbei ist. Nel meint, sie würde ihn aus dem Weg räumen lassen und ihm das Herz rausreißen. Rate mir doch mal, was ich tun soll.«
Bart dachte kurz nach. »Erzähl ihr ein Märchen«, sagte er nüchtern.
Ich lachte. »Was denn für eins?«
»Du gehst zum Metzger und kaufst ein Schweineherz, das sieht angeblich genauso aus wie ein Menschenherz. Das steckst du in ein hübsch versiegeltes, mit Formalin gefülltes Glasgefäß und bindest eine Schleife drum. Du erzählst ihr, Victor sei den Heldentod gestorben, als er, ohne auch nur eine Sekunde an seinen Zustand zu denken, von einer Brücke sprang, um eine junge Frau vor dem Ertrinken zu retten. Das Mädchen überlebte, aber als das hilfsbereite Amsterdamer Publikum auch ihn endlich aus der Gracht gezogen hatte, um ihm einen Orden zu verleihen, hatte sein Austauschherz leider den Geist aufgegeben.«
Ich starrte ihn an. »Das ist eine verdammt gute Idee!«
»Und typisch für jemanden, der nicht immer streng nach Vorschrift handelt.« Bart lächelte, schaute aufs Wasser und fragte dann wie nebenbei: »Und, hast du genug Arbeit?«
»Ich hatte zum Glück ein paar lukrative Fälle und kann es mir erlauben, wählerisch zu sein. Angebote gibt es genug, über Mundpropaganda, durch die Kanzlei Louis Vredeling oder ansonsten über Meulendijk.«
»Sag mir Bescheid, wenn du eine Filiale in Amsterdam eröffnen willst.«
Ich betrachtete sein Profil. »Was ist los?«
»Mia wirft mir vor, ich sei überarbeitet und würde mich zu einem zynischen Nörgler entwickeln. Sie sieht mich um drei Uhr nachts oder tagsüber, wenn ich zur Arbeit gehe und sie gerade von der Schule nach Hause kommt, oder andersherum, dir brauche ich ja nicht zu erklären, wie das läuft.«
»Arbeitet sie noch?«
»Besser, sie unterrichtet Niederländisch an einer nervtötenden Schule, als zu Hause herumzusitzen und auf mich zu warten.« Er wandte mir sein Gesicht zu. »Du bist doch auch nicht nur deshalb ausgestiegen, weil du eine Kugel abgekriegt hast.«
»Dir kann ich nichts weismachen«, antwortete ich.
Bart nickte. »Anfangs hat man Ideale, aber man wird mit so viel sinnloser Gewalt konfrontiert, dass die hehren Vorstellungen vom Wert und der Heiligkeit des Lebens verschleißen. Man wird gegen Schmerz und Leid immun, wie die Leute, die die Pesttoten aus den Häusern holten, auf Karren stapelten und draußen vor der Stadt verbrannten. Es ist wie mit dem Lärm. Durch den ganzen Krach stumpfe ich ab.«
»Wow«, sagte ich. »Dir geht’s wirklich nicht gut. Vielleicht solltest du genau wie ich die Stadt verlassen.«
Er nickte. »Mia könnte überall arbeiten, aber wir sind beide Stadtmenschen.«
»Rede mit Meulendijk. Der sucht immer Leute.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe mich dort schon umgesehen, aber das ist nichts für mich. Industriejobs, Personenprofile, Hightech, eine Informationsfabrik. Du wolltest doch auch nicht da arbeiten.«
»Nein, aber er hat auch Aufträge, bei denen er sich keinen Rat weiß, weil sie nicht in seinen Computer passen. Das sind meistens die interessanten.«
»Ich beneide dich, weißt du das?«
Ich fühlte mich, als hätte ich ihn zweimal im Stich gelassen. Erst, indem ich den Dienst quittierte und mich selbstständig machte, und nun, indem ich mit meiner Arbeit zufrieden war. »Ihr kommt uns doch besuchen«, sagte ich. »Lass uns dann darüber reden, bei einem schönen Glas Cognac.«
»Träumen mit den Füßen im Fluss«, sagte er.
Bart war fünfzig und er war müde. Er tat mir leid.
Henri führte mich wieder in den Büroraum, der angenehmer war als das Mausoleumszimmer mit dem Staatsporträt von Rosa Siroun, mir aber zugleich das Gefühl vermittelte, aus den Privatgemächern ausgeschlossen zu werden. Ich würde deswegen keinen Komplex entwickeln,
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