Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
denken sollen. Sowohl der Norden als auch der Süden beanspruchen jeden Sieg für sich. Wenn die Neuigkeiten zu uns gelangen, sind sie so verfälscht, dass sie keinen Sinn mehr ergeben. Nur eins wissen wir – viele tausend junge Männer verlieren ihr heben. Wir versuchen, deinen Rat zu befolgen und uns keine Sorgen um dich zu machen, doch das fällt uns schwer. Du bist und bleibst in unseren Gedanken, in unseren Gebeten, in unseren Herzen.
Über deinen Brief haben wir uns sehr gefreut. Nachdem wir wochenlang vergeblich auf eine Nachricht von dir gewartet hatten, waren wir so erleichtert, dass wir zur Feier des Tages etwas besonders Gutes kochten. Cole bereitete einen Eichhörncheneintopf zu, Douglas backte Biskuits, und ich erntete frisches Gemüse im Garten. Zum Dessert gab’s Bratäpfel und Pfefferminzcreme. Als wir unsere Bäuche gefüllt hatten, begannen wir zu singen. Cole und ich machten das ganz gut, aber was Douglas und Travis uns zumuteten, klang grauenhaft. Am schrecklichsten war die kleine Mary Rose. Deine Namensschwester singt nicht – sie schreit. Neulich spielte ich mit dem Gedanken, ihr ein Klavier zu kaufen, wenn sie älter wird. Dann müssten wir natürlich einen Lehrer finden. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee ist. Wenn sie sich keine Melodie einprägen kann, verschwenden wir nur unsere Zeit. Andererseits braucht sie eine umfassende Ausbildung und sie sollte auch die Musik schätzen lernen. Ihre Brüder und ich sprechen oft über die Vorteile, die wir ihr verschaffen wollen. Und Travis meint, sie müsse Französisch lernen. Er behauptet, alle gebildeten Leute würden wenigstens eine Fremdsprache beherrschen. Jetzt konzentrieren wir uns auf Englisch. Die grammatikalischen Kenntnisse unseres Babys lassen immer noch zu wünschen übrig. Ständig bringt sie die Verben durcheinander. Aber wir befolgen deinen Rat und verbessern sie nicht unentwegt. Außerdem loben wir sie, wenn sie kleine Aufgaben bewältigt hat. Es macht ihr Spaß, uns Freude zu bereiten; und wenn sie lächelt, scheint die Sonne in unserer Hütte aufzugehen. Wirklich, Mama, sie kann einen Raum erhellen, als würden tausend Kerzen drin brennen.
Cole zeigte uns den Entwurf für das Haus, das er bauen möchte, und wir staunten, weil er alle Einzelheiten so präzise herausgearbeitet hatte. Bis jetzt wusste keiner von uns, wie begabt er ist. Obwohl ich glaube, dass er sich zu viel vornimmt, will ich seine Begeisterung nicht dämpfen. Er hat ein einstöckiges Gebäude mit fünf Schlafzimmern geplant, so grandios wie die Plantagenhäuser im Süden. Aber ich schlug ihm vor, die Fassade möglichst schlicht zu gestalten, damit unsere Familie kein Aufsehen erregt. Wenn die Leute ein luxuriöses Haus sehen, fragen sie sich, was dahinter steckt. Und sie werden neidisch. Zumindest habe ich diesen Eindruck gewonnen, auf Grund gewisser Erfahrungen. Wenn irgendjemand etwas Besseres besitzt, bilden sie sich ein, das müssten sie selber haben, doch sie sind nicht bereit, hart dafür zu arbeiten. Immerhin sind die Bewohner von Blue Belle nicht so wie die Städter. Jeder von uns würdigt, was der andere hat. Inzwischen gehören sieben Bücher zu meiner Sammlung, und nächste Woche wird Travis nach Hammond fahren und sehen, was er dort kaufen kann. Douglas reitet wilde Mustangs zu, die er zusammen mit Cole gefangen hat, und er weiß gut mit Tieren umzugehen. Vor kurzem sagte er, sie würden zwar nicht richtig mit ihm reden, aber sie geben ihm Bescheid, wenn irgendwas nicht stimmt. Allmählich erkennen wir, was jeder Einzelne zum Familienleben beitragen kann. Ich finde es interessant, dass der liebe Gott diesem oder jenem Menschen ein besonderes Talent gegeben hat. Zum Beispiel kenne ich mich gut mit Zahlen aus, also erledige ich die Buchhaltung. Um die Besitzrechte auf unser Stück Land zu sichern, muss ich mich mit einer Menge Papierkram herumschlagen. Und ich notiere alle unsere Ausgaben. Morrison gibt uns Kredit. Was wir bei ihm kaufen, müssen wir nur einmal im Monat bezahlen, aber dafür nimmt er Zinsen. Wenn zu wenig Geld in der Zigarrenkiste liegt, sparen wir.
Ich reite nie in die Stadt. Selbstverständlich halte ich mich an deinen Rat und versuche, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Mittlerweile haben mich alle Leute hier draußen besucht, und sie scheinen sich an mich zu gewöhnen. Die Neuankömmlinge staunen, wenn sie hören, dass ein Schwarzer in dieser Gegend lebt. Und beim Anblick der
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