Rosen des Lebens
wohlbestallten Würdenträgern auf ihren goldenen Stühlen nichts zu befürchten hatten. Im übrigen lag
bei den guten Herren die Stimmenmehrheit, falls Adel und Geistlichkeit sich gegen sie vereinigen sollten.
Noch besser: Um böse Überraschungen und störende Fragen zu vermeiden, behielten sich die Graubärte das Vorschlagsrecht vor.
Sie selbst, und sie allein, bestimmten, welche Problempunkte den von ihnen ausgewählten Notabeln unterbreitet wurden. Kurz,
diese Versammlung war, ich will nicht gerade sagen eine Karikatur, aber eine ziemlich harmlose Miniatur der Generalstände
von 1614. Sie beruhigte die öffentliche Meinung, ohne so kostspielig zu sein wie die Generalstände, noch so lange zu dauern,
noch große Zusammenstöße zwischen den drei Ständen heraufzubeschwören wie vor vier Jahren.
Nun blieb aber den Graubärten eine heikle Operation zu bewältigen: sie mußten die Abschaffung von Mißbräuchen just deren Nutznießern
vorschlagen, die aber in den drei Ständen jeweils andere waren.
Und das ging so: Man erfreute den Adel, indem man die Abschaffung der Adelsbriefe verlangte – die man seit dreißig Jahren
meistbietend verkaufte –, doch ohne den Dritten Stand irgend zu beunruhigen, denn er wußte genau, daß der Staat auf diese
Einnahme niemals verzichten würde.
Man schmeichelte dem Dritten Stand mit der Forderung, die Pensionen, die man den Großen zahlte, bedeutend zu verringern –,
ohne daß die dreizehn anwesenden Großen auch nur mit der Wimper zuckten. Sie wußten genau, daß keine Regierung sich eine so
verletzende Maßnahme erlauben durfte, ohne Rebellionen der Großen auf den Plan zu rufen.
Man tätschelte die Bischöfe, indem man dem König empfahl, Klöster nicht mehr an Personen – ob Männer oder Frauen – zu vergeben,
deren Aufführung zu wünschen übriglasse. Doch hütete man sich, den König zu bitten, er möge nachgeborene Söhne aus großem
Haus, deren Sitten und Glaubensschwäche sie für diese Aufgaben ungeeignet machten, nicht mehr mit |45| Bistümern betrauen. Hätte man es getan, wären einige der anwesenden Prälaten genötigt gewesen, sich in Zerknirschung zu üben,
besonders mein Halbbruder, der Erzbischof von Reims, der mehr Zeit im Schoß von Charlotte des Essarts verbrachte als vorm
Altar.
Und dann kam der große Augenblick: Man forderte die Abschaffung der
Paulette.
Sicher wird man sich erinnern, daß diese Maßnahme auf den Generalständen von 1614 der Gegenstand endloser Debatten gewesen
war und daß Frau von Lichtenberg, der ich gesagt hatte, der Adel wolle den Tod der Paulette, mich erschrocken fragte: »Wer
ist denn die Frau, und warum soll sie sterben?«
Gott sei Dank, war es keine Frau, sondern eine nach ihrem Erfinder Paulet benannte Steuer. All jene, die wie ich ein Amt oder
eine Stelle gekauft hatten, mußten dem Schatz jährlich diese Paulette entrichten, die den sechzigsten Teil der Kaufsumme betrug.
Ich bezahlte sie also auch, und das freute mich für meinen zukünftigen ältesten Sohn (derzeit noch in weiter Ferne), denn
kraft ihrer würde ich, wenn es soweit wäre, der schrecklichen Vierzig-Tage-Regel entrinnen.
Nehmen Sie an, schöne Leserin, ich bin im Lauf der Zeiten so alt geworden, daß die Lampe nicht mehr Öl genug hat, um noch
lange zu brennen. Gewiß kann ich dann von meiner Stelle als Erster königlicher Kammerherr zugunsten meines ältesten Sohnes
zurücktreten, aber ich muß diesen Verzicht gemäß jener besagten makabren Regel um mindestens vierzig Tage überleben. Wenn
nicht, wird die Abtretung ungültig, und mein Amt fällt zum großen Leidwesen und Verlust meines Sohnes zurück an die Krone.
Schöne Leserin, ich frage Sie: Welcher Mensch auf der Welt könnte jemals mit solcher Genauigkeit die Dauer seines Sterbens
kalkulieren? Nun, dieser schrecklichen Bedrängnis hilft die Paulette ab. Sie setzt die Vierzig-Tage-Regel außer Kraft. Wenn
Sie die Paulette gezahlt haben, können Sie Ihr Amt noch kurz vorm Tode abtreten, ohne daß Ihrem Sohn die Einkünfte Ihres Amtes
entgehen.
Der Adel aber war sich im Haß auf die Paulette einig: Verglichen mit dem Dritten Stand nämlich verfügte der Adel über wenige
Ämter, weil er weder das Geld hatte, sie zu kaufen, noch die Fähigkeiten, sie auszufüllen. Vor allem aber ermöglichte |46| die Paulette quasi eine Erbfolge der Ämter und schuf somit einen bürgerlichen Erbadel, der vermögender und auf die Dauer einflußreicher
war als
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