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Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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in den Hafen zu gelangen. Neben Ludwig stand ein Offizier der Stadtgarnison, den er |48| sich hatte kommen lassen, damit er ihm seine unzähligen Fragen beantworte. Von Zeit zu Zeit wischte Ludwig mit seinem Ärmel
     den Atemhauch von der Scheibe und schaute und schaute, bis der Offizier ihm versicherte, daß nun alle Boote heil zurückgekehrt
     seien, trotz des von Minute zu Minute höher gehenden Meeres.
    Nach der Messe besichtigte er das Schloß und die Zitadelle und nahm erst um halb zwei sein Mittagsmahl ein. Aber sowie er
     gegessen hatte, stieg er zu Pferde und galoppierte zum Pollet am rechten Ufer der Arque. Während wir ihm folgten so schnell
     wir konnten, glaubten wir wegen seiner Versessenheit auf alles Militärische (der Leser erinnert sich sicher, wie er als Kind
     in Plessis-lès-Tours tagelang an einer Festung aus Lehm baute), er wolle zum Fort Lunes hinauf, das den Pollet überragt. In
     dem Tal aber gab es einen ganz anderen Magneten: das Meer! Ein stürmisches Meer, das in riesigen Wogen anbrandete und den
     Gischt hochauf und weit ins Land stäubte. Ludwig stieg vom Pferd und kletterte auf die Felsen, an denen die Flut sich brach.
     Er sprang hin und her, um den Wogen auszuweichen, die, wenn sie gegen das Hindernis stießen, in wilden Garben zum Himmel aufschossen
     und vor uns niederschlugen. Und dann geschah, worauf er es wahrscheinlich abgesehen hatte, eine überraschte ihn, er war von
     Kopf bis Fuß durchnäßt, lachte schallend und machte sogleich ein Spiel daraus, indem er jeden seines Gefolges, den er erwischen
     konnte, unter die Brecher schubste. Es ging auf fünf Uhr, als er, unseren dringenden Bitten gehorchend, dieses Vergnügen beendete
     und einwilligte, in den Gasthof zurückzukehren, wo er vor einem großen Feuer aus den Stiefeln befreit und getrocknet wurde
     und mit Heißhunger sein Souper verzehrte. Um neun Uhr ging er zu Bett, und zwar so glücklich, daß er, was höchst selten vorkam,
     in einem Zug bis zehn Uhr morgens schlief.
    Am dreißigsten November, einen Tag vor unserer Abreise, als die gute Wirtin mir mein Frühstück ans Bett brachte, bemerkte
     ich, daß sie sich mit einer Bitte trug, die sie nicht auszusprechen wagte. Sie war ganz anders als die Wirtin
Zu den zwei Tauben,
aber nicht weniger reizend, wenn auch von größerem Umfang. Obwohl ihre Herberge
Zum Wappenschild der Bretagne
hieß, behauptete die Dame steif und fest, sie sei Normannin, und wenn man sie ansah, konnte man an ihren Wikingervorfahren |49| nicht zweifeln, so groß, blond und kräftig war sie, mit Brüsten wie die Buckelschilde an den Drakkars.
    Als ich sie ermutigte, ihr Anliegen frei heraus zu sagen, gestand sie mir, daß ihr Vater sie als junges Mädchen einmal Henri
     Quatre vorgestellt hatte, als der ihnen die Ehre erwies, in ihrem Gasthof Quartier zu nehmen, und daß der gute König Henri
     sie bei der Abreise auf beide Wangen geküßt hatte. Seitdem war es jedwedem, sogar ihrem Ehemann, verboten, sie dorthin zu
     küssen.
    Hier hielt sie inne, und ich mußte sie sehr drängen, bis sie endlich herausrückte mit ihrem Wunsch, ich möchte sie Ludwig
     vor seinem Aufbruch vorstellen.
    »Aber, meine Liebe, es ist nicht meine Sache, Euch Seiner Majestät vorzustellen. Das obliegt Monsieur de Bonneuil.«
    »Und wo ist dieser Monsieur de Bonneuil?«
    »In Rouen.«
    »In Rouen!« sagte sie enttäuscht. »Aber«, fuhr sie fort, »könntet Ihr denn nicht, Herr Chevalier …«
    »Das geht nicht: Ich würde aus meiner Rolle fallen.«
    »Und Seine Majestät würde mit Euch schimpfen?«
    »Meine Liebe, er braucht nichts zu sagen. Ein Blick genügt.«
    »Jesus! Ist sein Blick so furchtbar?«
    »Manchmal, ja.«
    »Heilige Jungfrau! Gibt es unter den Herrschaften denn keinen, der sich getrauen könnte, mich vorzustellen?«
    »Doch«, sagte ich nach kurzem Schweigen, »es gibt einen, oder vielmehr eine.«
    »Wen denn?«
    »Mathurine.«
    »Mathurine!« schrie die Wirtin, die Hand am Herzen, und ihre Augen quollen aus den Höhlen, ihre Lippen zitterten.
    Die Hand war groß, das Herz aber auch, und es dauerte ein Weilchen, bis sie zu Atem kam.
    »Mathurine!« sagte sie entrüstet, »die Zwergin! Eine Ausgeburt des Teufels!«
    »Woher wollt Ihr das wissen, Gevatterin?« fragte ich mit gerunzelter Stirn. »Zwerge sind vielmehr Geschöpfe Gottes, die Er
     besonders liebt! Denn Er hat sie so klein nur gemacht, damit sie leichter durch die enge Pforte zu seinem Paradies kommen.«
    |50| »Stimmt das?«
    »Das dürft

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